Nosferatus lange Finger
Nach langer Rehabilitation hat Schäfer, mit seinen 42 Jahren der jüngste Major der Wiener Kriminalpolizei, seinen Dienst wieder aufgenommen. Zwar befindet er sich noch in ambulanter therapeutischer Behandlung, aber die neuen Psychopharmaka, die seinen Dopamin- und Serotoninspiegel optimieren, wirken positiv auf ihn, und er ist voll motiviert.
Die Warnung seiner Kollegen, den Tatort nicht zu betreten, tut er lapidar ab, er sei ja kein Grünschnabel mehr nach 20 Jahren Umgang mit Gewaltverbrechen. Aber der Gestank in der Wohnung setzt ihm zu, der Anblick der Leiche treibt ihn nach draußen, und seine Jause kommt ihm wieder hoch.
Was hat er gesehen? Einen kopflosen Torso, mit Phosphorsäure überschüttet – mehr ist von dem Mann nicht übrig geblieben, der Hermann Born hieß, ehedem Obmann war und kurzzeitig Minister einer geschätzten Nationalpartei; ein Volksverhetzer, Rassist und Antisemit mit "hehren" Gedanken aus seinen alten SS-Zeiten.
Wo sollen Schäfer und sein Team, seine Theatergruppe mit Idealbesetzung für jeden Job, ansetzen, da dieser Mann mehr Feinde als Freunde hatte? Spurensicherung, Forensik, Archivarbeit, Befragung der Nachbarn, sein letztes Telefonat (Wem lässt sich die Nummer zuordnen?) , seltsame Kontoabhebungen (immer um die zweitausend Euro, kurz bevor Frau Born allein ins Sommerhäuschen reiste) ...
Auf Borns Laptop stößt Schäfer auf harmlose Pornofilme. Der alte Arier stand also auf korpulente fünfzigjährige Afrikanerinnen, und ein Escortservice brachte ihm die Edelnutten ins Haus. Stammt der Täter aus der Unterwelt? Das verspricht ein zäher Fall zu werden ...
Zwischendurch muss sich die Mannschaft um den Mord an einem Lkw-Fahrer kümmern, wie der normale Polizeialltag halt so läuft ...
Erst als eines Tages in Erwin Schröcks Villa, einer Protzbude, eingebrochen wird und Spuren von Phosphorsäure gefunden werden, scheint alles auf denselben Täter hinzuweisen. Der Investmentbanker Schröck, ein Yuppie mit Schleckfrisur, hielt – wie Born – Anteile an einem Unternehmen, und die beiden standen in geschäftlicher Verbindung.
Dann wird Schäfer von einem kleinen türkischen Jungen angerufen, dass seine Schwester erstochen in der Wohnung liege und sein Vater auf und davon sei ... An diesem neuen Tatort verliert Schäfer nun doch seine Nerven: Er demoliert Möbel und Spiegel vor lauter Hass auf "diesen verfickten anatolischen Eseltreiber" (S. 96) , der seine "wertlose" Tochter beseitigt hat ... So ein Ausraster darf natürlich – auch wenn wahrscheinlich die Medikamente verantwortlich sind – nicht geduldet werden, könnte er doch zu einem Politikum hochstilisiert werden. Und deshalb lässt Schäfers Vorgesetzter Oberst Kamp ihn nach Salzburg versetzen, weitab vom Schuss.
Doch genau hier laufen alle Fäden zusammen: Die Verbrechen des Nationalsozialismus, deren Täter sich längst in der Schlussphase der Extinktion befinden, werfen immer noch ihre Schatten übers Land wie Nosferatus lange Finger, und hier wird Schäfer den Fall aufklären.
Der Autor Georg Haderer ist nicht wiederzuerkennen. Ob er Schäfer ein paar Pillen stibitzt hat? Er unterhält uns aufs Beste in einem natürlichen, leichten, logisch stimmigen Erzählfluss, gewürzt mit ironischen bis sarkastischen Giftspritzern und herrlich skurrilen Vergleichen (Beispiel: Kinder zu haben ist für Schäfer genauso unvorstellbar wie im Wirtshaus frittierte Vogelspinnen zu probieren ...).
Wir Leser sind immer auf Augenhöhe mit Schäfer und seinem Team. Die Morgenbesprechungen halten uns auf dem Laufenden, und genau wie das Team wundern wir uns, was denn nun die fünfzehn Jahre alte DNS eines Mannes, der längst tot ist, an einem Tatort zu suchen hat ... Sind wir anfangs etwas entnervt, dass es nicht so recht voran geht, können wir später gar nicht schnell genug lesen und überfliegen die Seiten, um zu erfahren, was und warum das alles geschehen ist. Ein intelligenter Krimi!
"Der bessere Mensch" ist für mich "Der bessere Haderer"!