Rezension zu »Bitter Wash Road« von Garry Disher

Bitter Wash Road

von


Kriminalroman · Unionsverlag · · Gebunden · 352 S. · ISBN 9783293005006
Sprache: de · Herkunft: au

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Outsider im Outback

Rezension vom 23.04.2016 · 3 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Keiner mag Hirsch. Seine Kollegen verachten ihn, seine Frau hat ihn ver­lassen, sogar seine eigenen Eltern dis­tan­zie­ren sich von ihm. Sein Ruf ist ruiniert.

Korruption, Sexparties und aus der Asservatenkammer ent­wende­tes Kokain – die üblen Machen­schaften des Polizei­teams in einem Vorort­revier von Adelaide sind aufge­flogen. Detective Paul Hirsch­hausen (»Hirsch«) konnte die Unter­suchungs­kom­miss­ion kein Ver­gehen nach­weisen. Tat­säch­lich hatte er sich vom Treiben seiner Kolle­gen immer fern gehal­ten, denn er will einfach nur anstän­dig seinen Job machen. Aber seine Aussagen waren den Behörden hilf­reich genug. Dafür gilt er jetzt in Polizei­kreisen als Ver­räter. Die Vor­gesetz­ten ent­ledi­gen sich seiner, indem sie ihn ins Nir­gend­wo ver­bannen.

Der Nicht-Ort, wo Hirsch, zum Constable degradiert, ganz allein seinen Dienst schie­ben wird, hat einen Namen, aber sonst nicht viel. Tiver­ton – »einmal geblin­zelt, schon war man durch« – das sind ein paar alte Stein­häuser, ein Ge­mischt­waren­laden, ein Land­wirt­schafts­markt, zwei Kirchen, eine uralte Kanone, ein Krieger­denkmal, Getreide­silos, Wind­räder, Minen­schächte, Wolle, Weizen, Gras, Euka­lyp­tus­bäume, Zypres­sen­gestrüpp, Stein­geröll, roter Staub. Keine Bank, keine High­school, keine Apo­theke, kein Arzt, kein Anwalt, kein Steuer­berater findet sich in dieser trost­losen Gegend im Outback des Bundes­staates South Australia.

Nicht einmal den Anschein ländlicher Idylle hat Hirschs neuer Dienst­ort zu bieten. Das Sozial­milieu ist ver­härtet, trist und hoff­nungs­los. »Keine Jobs, kein Nacht­leben. Hier zog man weg, nicht her.« Wer die un­ge­schrie­benen Spiel­regeln des Busch­lands nicht befolgt, dem werden Steine in den Weg gelegt. Das kennt Hirsch zur Genüge. Er ist vom Regen in die Traufe geraten, und sein mieser Ruf ist ihm längst voraus­ge­eilt. Was die drei Kol­legen im vierzig Kilo­meter ent­fern­ten Nach­bar­revier Redruth von ihm halten, lassen sie ihn spüren. Doch wie bisher schon verbiegt er sich nicht, sondern tut mit stoi­scher Ruhe seine Pflicht. Je besser er als ein­samer Kämpfer Land und Leute kennen­lernt, desto näher kommt er einem Sumpf von Intrigen. Er tastet sich lang­sam heran, kann Ver­trauen aufbauen und muss doch immer mehr um sein Leben fürchten.

In diese Grundkonstellation bettet der australische Autor Garry Disher eine relativ ein­sinnige Krimi­hand­lung ein, die keiner wunder­samen Über­raschun­gen, keiner rasanten Kehrt­wen­dungen, keiner atem­berau­benden Action und schon gleich keiner grau­samen Folter­szenen bedarf, denn sie über­zeugt durch interes­sante Charak­tere und sorg­fältige Gestal­tung einer be­drücken­den, viel­schich­tigen Atmos­phäre in einem (zu­min­dest für uns Euro­päer) exoti­schen Ambiente.

Hirschs Karriere im Nirwana nimmt ihren Lauf, als ihn sein Vor­ge­setz­ter aus Redruth auf­for­dert, seinen faulen Hintern zu bewegen und zu klären, was es mit den Schüssen auf sich hat, die eine Tou­ristin an der Bitter Wash Road gehört haben will. Noch recht lässig lenkt der Dorf­polizist seinen robus­ten Dienst-Off­roader durch ein flaches Tal, zur Linken teils bestellte Hügel, zur Rechten zer­klüf­tete Fels­forma­tionen – »eine Land­schaft, die ge­rade­zu danach lechzte, das sich etwas bewegte«, »eine drän­gende Land­schaft, die Hirsch Angst machte«.

Bald beschleicht Hirsch ein Gefühl der »un­ruhi­gen Dis­sonanz«. Seit er vor kurzem eine Patrone in seinem Brief­kasten ent­deck­te, ist er vorge­warnt. Man will ihn erle­digen, hier, »wo die Welt so lieblos war«. Als plötz­lich Schüsse knallen, erfasst ihn Panik: Haben ihn die Kolle­gen heim­tückisch in einen Hinter­halt ge­lockt, hat sein letztes Stünd­lein ge­schla­gen?

Noch ist es nicht soweit. Erst hat Hirsch ein Gestrüpp von Be­schul­digun­gen und Mut­maßun­gen vor sich. Kinder und ihre Mütter berich­ten ihm von Gewalt­taten, er hört von Psycho­pathen, die Frauen prügeln, ver­gewal­tigen und morden, von Poli­zisten, die junge Abori­gines miss­handeln. Je nach In­teres­sen­lage setzen die Ord­nungs­hüter selbst Ge­rüchte in die Welt, während sie andere igno­rieren, ab­bügeln, herunter­spielen, ver­stär­ken oder auf­bau­schen.

Tiverton ist ein Wespennest, eine Schlangengrube, zu brisant für einen Einzel­kämpfer. Richtig ernst wird es, als eine Sech­zehn­jährige tot am Straßen­rand gefun­den wird, augen­schein­lich ein Unfall mit Fahrer­flucht. Je nach­drück­licher Hirsch ermittelt, desto tiefer dringt er in ein un­durch­sich­tiges Gewirr von Intri­gen ein, die Vettern­wirt­schaft, Kor­rup­tion, Frauen­feind­lich­keit und Rassis­mus ver­tuschen und die Auf­klä­rung des Todes des Mädchens ver­hindern sollen. Ein zweiter Todes­fall spitzt Hirschs Situ­ation zu. Die Ver­stor­bene war schon lange de­pressiv und hat bereits einen frühe­ren Suizid­versuch hinter sich. Klar, dass die ge­streute Version des Selbst­mordes allen ein­leuch­tet. Nur der läs­tige Stören­fried Hirsch hegt Zweifel.

Der australische Autor Garry Disher (1949 geboren) beherrscht sein Hand­werk. Nach einigen Sach­büchern hat er seit 1987 neben Kinder- und Jugend­büchern fast zwei Dutzend Romane verfasst, von denen mehr als die Hälfte auch auf Deutsch er­schie­nen sind, davon bereits sechs in der Über­setzung von Peter Torberg beim Schweizer Unions­verlag. Torberg ist ein Spezia­list für den trocke­nen, dichten, bild­starken Stil, den die Auto­ren moder­ner Abenteuer­erzäh­lungen aus dem engli­schen Sprach­raum gern kulti­vieren, und so ist dem Team mit »Bitter Wash Road« Garry Disher: »Bitter Wash Road« bei Amazon (das Original erschien 2013) ein Krimi gelungen, der ohne Ein­schrän­kun­gen empfohlen werden kann.

Plot und Protagonist überzeugen. Hirsch ist kein tes­tos­teron­ge­steuer­ter Kraft­meier und keine von persön­li­chen Proble­men zer­fresse­ne Charak­ter­ruine. Dank seiner Gerad­linig­keit und Kon­sequenz gelingt es ihm, das Ver­trauen derer zu ge­winnen, die noch niemals etwas anderes erleben durften als Miss­achtung und Unter­drückung. Wenigstens einige kann er beschüt­zen, vor dem Schlimms­ten bewahren, ihnen Ge­rechtig­keit zuteil werden lassen.

Einen anhaltenden Reiz verschafft der Erzähl­stil des Autors und des Über­setzers. Der Grundton ist mar­kant, knapp, nüchtern, der Satz­bau kompakt und un­kompli­ziert: »Die Menschen hier draußen hatten alle ihre Schön­heits­fehler. Farmer­dreck unter den Finger­nägeln, Kratzer von der Garten­arbeit, Schürf­wunden vom Schul­hof, Falten von zuviel Sonne.« Aber es finden sich auch detail­reiche, reihende Sze­nerie­be­schrei­bun­gen, die die je­wei­lige Stim­mung spie­geln: »Ameisen­hügel, sandige Aus­waschun­gen, an Toren bau­melnde Fuchs­schwänze, ein paar ver­rot­tende Merino­schaf­kadaver ... ver­wit­ter­te Zaun­pfosten und müde, rostige Draht­schlau­fen, die sie mit­einan­der ver­ban­den ... Was er nicht sah, nur spürte, waren auf­ge­las­sene Gold­gräber­felder, Schächte, ocker­farbene Hände, auf Fels­wände schab­loniert.« – »In den Spalten der Ve­randa wuchs Unkraut. Hirsch hielt das nicht für ein Zeichen von Nach­lässig­keit. Eher so, als ob die Be­wohner ab­ge­lenkt seien; sie be­merk­ten die Schäden nicht mehr, oder sie schau­ten nur kurz hin und mein­ten: ›Darum küm­mere ich mich nächste Woche.‹«

Dieses Buch habe ich in die Liste meiner 20 Lieblingsbücher im Frühjahr 2016 aufgenommen.


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