Wein, Weib und Witz
Mitten in der Basilicata ragt auf halbem Weg zwischen Bari und Salerno das majestätische Massiv des Monte Vulture auf. An den Hängen des 1326 Meter hohen erloschenen Vulkans wird bis in 800 Meter Höhe ein Rotwein angebaut, bei dessen bloßer Erwähnung Kenner schon den Korkenzieher zücken: Der Aglianico del Vulture ist eine flüssige Delikatesse.
Um diesen DOC-Wein und noch eine Menge mehr geht es in Gaetano Capellis Roman »Storia controversa dell'inarrestabile fortuna del vino Aglianico nel mondo« (2007). Sylvia Höfer hat ihn übersetzt, und das dürfte kein Kinderspiel gewesen sein. Wie der barocke Originaltitel schon erahnen lässt, pflegt Gaetano Capelli einen verschwenderisch ausufernden Stil sowohl im Sprachduktus als auch in der Handlungsgestaltung.
Versuchen wir, Capellis an Figuren, Motiven und Episoden überreichlich beladenes Werk auf den eigentlichen Plot zu reduzieren – sozusagen das blickdichte Blattwerk des Weinstocks samt seinem feinen Geästel zurückzuschneiden, um die Kraft des sich nach oben windenden Stammes zu erkunden.
Der Ethnologe Riccardo Fusco ist seiner Lebensumstände mehr als überdrüssig. Ehefrau Eleonora tourt als gefeierte Schauspielerin im klassischen Fach, überlässt Familien- und Haushaltspflichten ganz ihm und setzt ihm dazu munter Hörner auf. Seine vier Töchter liebt er natürlich von Herzen, aber sie wollen auch ständig umsorgt sein. Als graue Eminenz der Familie schwebt Schwiegermama über allem, irdisch hinreichend präsent, um im Alltag permanente Kontrolle auszuüben. Riccardos akademische Laufbahn stagniert; für seine Forschungen interessiert sich keine Socke.
Da kommt ihm ein rettender Engel wie gerufen. Er heißt Graziantonio Dell'Arco, ging mit Riccardo zur Schule und möchte nun als Winzer an den Hängen des Monte Vulture reüssieren. Im Dunstkreis des Vino Aglianico lassen die beiden grandiose Luftschlösser wachsen, und um mit Graziantonio in die höheren Sphären Amors und Mammons abzuheben, braucht Riccardo sich nur an seine Flügel zu heften.
Aber: In vino veritas. Die Träume haben zu wenig Körper, die Aromen verfliegen rasch, und im Abgang bleibt, wie nicht anders zu erwarten, ein Nichts.
Schon zu Schulzeiten wurde Graziantonio als »Doofi« gehänselt – kein Wunder bei so einem lächerlichen Vornamen. Doch dank glücklicher Fügungen in seiner abenteuerlichen Vita ist ausgerechnet er in schwindelnde Höhen katapultiert worden und führt nun in seinen Villen am Comer See und im Chianti oder auf seiner Yacht ein Luxusleben.
Sein Schicksal wendet sich jäh, als er bei einem Galadinner auf Conte Yarno Cantini del Canto degli Angeli trifft. Dass der Adlige längst verarmt ist, mindert nicht sein Standesbewusstsein gegenüber dem steinreichen Parvenü. Eiskalt verweigert er dem dahergelaufenen Schnösel einen Platz an seinem noblen Tisch – Skandal! Während die Medien mit dem Jetset-Eklat einen Umsatzboom zünden, kippt Graziantonio in den ungebremsten Sturzflug, denn auf einmal blitzt der neureiche, vulgäre »Neotrampel« überall ab.
Die öffentliche Demütigung lässt Graziantonio auf Rache sinnen. Wie kann er dem finanziell am Hungertuch nagenden Conte den Todesstoß versetzen? Dessen liebstes Kind ist sein Weingut. Seit Jahren werden seine Tropfen international prämiert, und das amerikanische Fachblatt »Wine Spectacle« (»die Bibel der Trinkkultur«) mit seiner einflussreichsten Kritikerin Chatryn Wally führt sie ganz oben auf seiner Rangliste. Hier kommt Riccardo ins Spiel.
Auch Chatryn Wally hatte einst als Ethnologin begonnen; während einer Forschungsreise war sie Riccardo, einem echten Latin lover, begegnet, hatte ihn »erforscht« und »lieben gelernt«. Riccardo traut sich zu, die einstige Glut schnell wieder entfachen zu können. Dann wird es ein Leichtes sein, so versichert er Kumpel Graziantonio, den Wein des Conte abstrafen zu lassen.
In der Tat eilt Chatryn auf Riccardos Einladung hin mit fliegenden Fahnen zu ihm, freilich mit einem Herzensanliegen im Gepäck, von dem er nichts ahnt. Ganz nach allseitigem Wunsch legt Riccardo Chatryn so lange flach, bis sie den lukanischen Dell'Arco-Wein (»rätselhaft ... archaisch ... schnörkellos ... geheimnisvoll wie ein alter Zauber«) hoffentlich endlich in die Liste der »Top 100 Wines of the Year« aufnimmt, und möglichst weit vor des Conte Gewächs ...
Um diesen Stamm herum arrangiert Autor Gaetano Capelli eine Vielzahl von Seitentrieben. Einer der kräftigsten nimmt seinen Anfang mit dem Kapitel »Der Texaner aus Ferrandina begegnet dem berühmten Kamel« und schildert ein Stück Vorgeschichte. Michelantonio Dell'Arco, Graziantonios Papa, war ein Geizkragen, »der sich selbst noch weniger gönnte als das Wenige, das er seinen Tagelöhnern zukommen ließ«. Ausgerechnet auf seinen Latifundien werden im Januar 1952 gewaltige Methangasvorkommen ausgemacht. Schon träumt er sich mit »Cowboyhut ... und Zigarre im Mund am Steuer eines Cadillac Eldorado« – und weiß doch, dass der italienische Staat solche Ressourcen selbst ausbeuten und den Landbesitzer gnadenlos enteignen darf. Doch hat Michelantonio nicht schon die Agrarreform glimpflich zu überstehen gewusst? Vielleicht hilft auch diesmal ein Trick. Nachdem Betteln und Bestechen die Enteignung nicht abwenden können, mimt er Mitleid erregend den zu Tode Erkrankten und hungert sich bis aufs Sterbebett. Dorthin ruft man schließlich die bucklige Hexe Lia (»die Sabbernde«), und sie beschwört ihn im Rahmen eines beeindruckenden archaischen Rituals mit allem Pipapo, das Methan-Land den Bauern zu geben, »sonst rafft's dich hin« ...
Gaetano Capelli ist ein brillanter Geschichtenerfinder und -erzähler. Der Journalist und Schriftsteller hat 1982 über Jean Paul gearbeitet und ist dabei sichtlich auch für seine eigene Stilfindung inspiriert worden; man beachte nur einmal die Namen seiner Käuze. Neben seiner blühenden Fantasie zeichnet ihn sein amüsanter Ton aus, der zwischen Ernsthaftigkeit des Faktischen und sanfter Ironie schwebt. Seinen Figuren versetzt er damit bedenkenlos und gern süffisante, humorvolle Seitenhiebe, und er schreckt auch nicht davor zurück, mit Klischees zu jonglieren. Meisterlich sind seine Satzkonstrukte, die auch mal knapp eine Buchseite füllen können.
Der Autor wurde 1954 in Potenza, der Hauptstadt der Basilicata, geboren, und man spürt auf den Seiten seines Buches, dass er den Herzschlag seiner Vorfahren wahrnimmt, die in größter Armut und Schlichtheit mit allen Widrigkeiten des Lebens irgendwie zurande kommen mussten, und dass er verehrt, was die Kultur dieser kargen Landschaft ausmacht.