Rezension zu »Der Gentleman« von Forrest Leo

Der Gentleman

von


Belletristik · Aufbau · · 296 S. · ISBN 9783351036737
Sprache: de · Herkunft: de

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Sympathie für den Teufel

Rezension vom 05.10.2017 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Lionel Lupus Savage weiß, was für ein toller Hecht er ist. Er ist jung, sieht blendend aus, ist höchst kultiviert, lebt auf großem Fuß in seinem Haus am feinen Londoner Pock­ling­ton Place, und er ist ein begna­deter Dichter, dem auch aner­kannte Kollegen nicht das Wasser reichen können .

Nicht alles, was er von sich glaubt, besteht freilich den Fakten­check. In Londons Adels­kreisen macht man keinen Hehl daraus, was man von seiner Lyrik hält: Man könne sie erst genießen, »nachdem sie im Feuer verfeinert wurde«. Solche Bos­haftig­keiten bekommt der Poet zwar mit, aber sie fechten ihn nicht an.

Des Dichters treu ergebener Gefährte ist sein grau­haariger Butler Simmons. Doch auch der kann die Realität nicht besser machen, als sie ist. Als sein Herr aus einer roman­tischen Laune heraus die Absicht äußert, ein Boot zu kaufen, bringt Simmons ihm dezent die bittere Wahrheit nahe: »Wir waren verarmt.«

Das »Schicksal der oberen Stände in dieser modernen Zeit« lässt nicht nur den Boots­wunsch zer­platzen, sondern zwingt Savage gar, über Geldver­dienen nachzu­denken. Handwerk, Medizin oder Juristerei sind freilich undenk­bar für einen Gentle­man; die bloße Vorstel­lung dieser Berufe (und ihrer Vertreter) verur­sacht ihm körper­liches Un­wohl­sein. Als einzig gang­barer, wenn auch lästiger Ausweg aus dem finan­ziellen Jammer­tal verbleibt die Ver­eheli­chung mit einer Dame der besten (will heißen: vermögend­sten) Londoner Kreise. Und so zieht bald die frisch ange­traute Vivien am Pock­ling­ton Place ein.

Erfüllte Savage die Zeit des Werbens noch mit Wohlge­fühl, tritt nach der Heirat rasch Ernüch­terung ein. Die ein Jahr jüngere Vivien entpuppt sich als geist­loses, verzagtes, nörgleri­sches Geschöpf, für welches Lionel nur Hass und Verachtung auf­bringen kann. Als zum zwischen­mensch­lichen Übel die Qual einer Schreib­blocka­de tritt, packt Savage die Verzweif­lung. Nur der Tod kann ihn erlösen. Doch wie?

Simmons kann Savage vertrauensvoll in sein Vorhaben einweihen. Der Butler bewahrt irgendwo eine alte Flinte auf, die für einen schlichten Kopf­schuss gut genug wäre. Doch bei allem Wohl­wollen und Ver­ständ­nis für die Seelen­pein seines Arbeit­gebers scheut Simmons die ihm ob­liegen­den Reinigungs­aufgaben nach dem tödlichen Vollzug. Savage entgehen die winzigen Anzeichen von Gequält­sein in der ansonsten immer­gleichen ausdrucks­losen Sprache und Mimik seines lang­jährig Ver­trau­ten nicht. Er ent­schuldigt sich und gesteht, dass er noch nie im Leben darüber nach­ge­dacht habe, »was wohl in den Köpfen anderer Menschen vor sich geht«. Als rein­lichere Alter­native schlägt der Diener den Tod durch Ertrinken vor.

Mit Witz, süffisanter Ironie und Lust am Klischee nimmt der erst 27 Jahre alte amerika­nische Autor Forrest Leo typische Figuren der Londoner Ober­schicht im viktoria­nischen Zeitalter aufs Korn, ohne sie lächer­lich zu machen. Ursprüng­lich hatte er seinen Roman als komödian­tisches Theater­stück konzi­piert. Die Theatralik verspürt man auch noch in der kurz­weili­gen Prosa. Eine Figur nach der anderen betritt die Bühne, bunte Kulissen wechseln, mitreißende Dialoge beleben ein fest­liches Dinner, abenteuer­liche Duelle werden ausge­fochten, und im Rahmen der malenden Kunst ist sogar Nackt­heit zulässig.

Der aparteste und amüsanteste Charakter in diesem Kammerspiel ist Savages Schwester Lizzie, ein früh­reifer Frei­geist. Um die engen Konven­tionen im »Zeit­alter der Sittlich­keit« hat sich der lebens­lustige Spring­ins­feld noch nie nicht geschert. Im Internat hatte sie (mit sech­zehn) ein Techtel­mechtel mit dem Sohn des Direktors (und wurde prompt gefeuert). Sie kennt auch keine Hemmun­gen, ihren Bruder nach seiner vertrack­ten Bezie­hung zu Vivien zu befragen (»Hat es mit dem körper­lichen Akt der Liebe zu tun?«).

Weitere reizvolle Figuren sind ein Erfinder, der Flug­maschi­nen baut und als umstürz­lerischer Anarchist von den argwöh­nischen Augen der könig­lichen Polizei verfolgt wird, und ein Aben­teurer, der sich nach der Rückkehr von seinen Welt­reisen bei Savage und Lizzie einquar­tiert und viel zu erzählen weiß. Ganz im Hinter­grund hält sich Mr Hubert Lancaster, ein weit­läufiger Verwandter und Heraus­geber von Savages Werk. Seine zahl­reichen Fuß­noten kommen­tieren zurück­haltend, aber unmiss­verständ­lich und oft en­tlarvend, was der Verfasser an Ereig­nissen, Weis­heiten, Behaup­tungen und Borniert­heiten nieder­geschrie­ben hat.

Die ungewöhnlichste Person aber ist kein Geringerer als der Teufel. Wie es sich gehört, entsteigt er der Unter­welt – konkret: der Under­ground-Station Essex Grove –, jedoch mitnich­ten, um Savage seine Seele abzu­luchsen. So gern sich der arme Poet leib­haftig aus dem Erden­rund verab­schie­den würde, und wenn es in die Hölle gehen müsste, so fern liegt dem Beelze­bub diese Absicht. Denn Seelen hat er schon mehr als genug. Immer miss­verstehen ihn die Menschen als Böse­wicht, dabei ist er ein melan­choli­scher Fein­geist, Bücher­lieb­haber und Literatur­kenner mit einem Faible für Dante Alighieri (der sich übrigens bei ihm zu Hause um den Garten kümmert). Der »Fürst der Finster­nis« sucht kein Opfer, sondern einen Freund, und dazu hat er sich Lionel Lupus Savage ausgesucht.

Es versteht sich, dass Luzifer, der wahre Gentle­man, im weiteren Verlauf der Handlung für ordent­lichen Wirbel im Hause Savage sorgen wird, ganz wie man es von einer guten Boule­vard-Komödie erwar­ten darf. So liest man Forrest Leos »The Gentleman« Forrest Leo: »The Gentleman« bei Amazon (in der Über­set­zung von Cornelius Reiber) als charmanten, vergnüg­lichen Unter­haltungs­roman und fühlt sich dabei manch­mal ganz wie bei einem ent­spannen­den Theater­abend.


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