Plötzlich Bescherung und andere (un)weihnachtliche Geschichten
von Ewald Arenz
Die Weihnachtszeit und ihre Protagonisten ganz unkonventionell gedacht
Warum schaut Joseph bloß so mürrisch?
Allgemein vertraute Weihnachtsgeschichten zu verfremden, zu karikieren, zu banalisieren – das wird oft gemacht und endet oft in billigen Blödeleien. Wenn es gut gemacht wird, entstehen Satiren, die belustigen und nachdenklich stimmen können. Auf verblüffende Weise anders geht Ewald Arenz in den meisten der zwanzig Erzählungen vor, die der Verlag ars vivendi hier vorlegt.
Bücher und Musik-CDs für die Advents-
und Weihnachtszeit finden Sie hier.
Der in mehreren Genres, Formaten und Medienkanälen aktive Autor hat die Geschichten über zwei Jahrzehnte hin verfasst, teils für die weitläufige Familie, teils für Zeitungen und den Rundfunk. Einige schildern denn auch amüsante, oft skurrile Begebenheiten aus dem Verwandtenkreis, die meisten aber nehmen die biblischen Geschichten, die gewohnten Rituale und gängigen Klischees einfach beim Wort. Arenz versetzt sich in die Situation der Protagonisten rund um das Fest und spielt durch, wie sie als normale Menschen von heute denken, empfinden, handeln könnten, wobei die Weihnachtszeit auch für sie seit Langem zu nichts als stressigen Arbeitstagen geworden sind. All die geläufigen Attribute des Personals, wie Heiligkeit, Erlösung, Besinnlichkeit, Lobpreis und Frieden, fallen dabei unter den Tisch. Die Grundfrage lautet wohl: Warum sollten unsere Alltagsprobleme nicht auch die himmlischen Heerscharen heimsuchen, wenn nicht nerven?
Man könnte die Methode auch anders herum beschreiben: Der Autor projiziert unsere heutigen Probleme und Themen auf das weihnachtliche Repertoire und schaut sich an, wie das zusammen geht. Wie zu erwarten, fällt die Bilanz krass zu Ungunsten der Moderne aus: Despoten, Kriegsherren, Fanatiker und Terroristen versus »Friede auf Erden«, klimagewandelter, trostloser Nieselregen versus »White Christmas«-Winterwaldidylle, Konsumorgien versus Genügsamkeit und stilles Glück im Stall, Überregulierung versus »Folge dem Stern«, Effizienz versus Liebe … Erfreulicherweise kommt die Zeitkritik nie mit missionarisch erhobenem Zeigefinger daher, sondern mit Humor. Der fällt bisweilen ketzerisch, grotesk und drastisch aus: »Du bist so dumm wie ein Eimer Sand.« (wettert ein altkluges Mädel) – »Leckt mich alle am Arsch !« (schreit der Weihnachtsmann) – »Du hirnlose Qualle in Form eines Verwaltungsbeamten« (tobt Satan).
Nur um die Spannweite der Themen zu illustrieren, seien einige wenige Einfälle umrissen, die über die Seiten verteilt auftauchen. Seien Sie versichert, dass mit diesen Details nichts gespoilert ist. Schließlich entfalten die Erzählungen ihren vollen Reiz erst beim Lesen – durch die Kreativität der Sprache, die Handlung, den Aufbau der jeweils eigenen Atmosphäre.
• Bethlehems Stall als Touri-Hotspot wie die Kronjuwelen-Kammer im Tower
• Rentierschlitten und Straßenverkehrs-Ordnung
• beklagenswerte Dominanz alter weißer Männer und dienstbarer weiblicher Geistwesen
• Burnout- und Alkoholismusgefahr beim Weihnachtspersonal
• Kann man die Präsente-Zustellung nicht an einen Logistik-Profi outsourcen – oder gleich den ganzen Zirkus virtuell durchführen?
• Wacht da oben jemand darüber, dass die Geschenke gendergerecht ausgewählt werden?
• Nikolaus, Ruprecht, Rentiere und die Impfpflicht
Wenngleich das reale Leben bekanntlich die besten Geschichten produziert, darf man annehmen, dass der Autor auch die vier Weihnachtsszenen aus seiner Familie mehr oder weniger zugespitzt und gewürzt hat. Dennoch wirken sie authentisch, so wie ihr Ton trotz aller erzählerischen Süffisanz weihnachtlich liebevoll bis anrührend ist. Darin hantieren Persönlichkeiten wie in vielen anderen Haushalten mit den Problemen, die die Zeit so mit sich bringt: die leicht demente Oma und ihr im hohen Alter fürsorglich gewordener Gatte, der überforderte, überrumpelte Sohn (unser Ich-Erzähler), die angereisten eifersüchtigen Geschwister sowie der Halbzentner-Hund, der ungebremst seine Zuneigung ausdrückt, indem er sich aufrecht auf die Hinterbeine schwingt, den Zweibeiner auf Augenhöhe ins Visier nimmt, ihn kräftig umarmt und herzlich abschleckt. Ein seliges Geben und Nehmen also, und das Fest ist gelungen.
Wenn Sie nicht auf Frommes, Romantik, Märchenhaftes, Volkstümelndes, Missionierung oder Klamauk setzen, sondern auf kluge Inspiration mit ein wenig unaufdringlicher Zeitkritik, dann kann ich Ihnen diese bemerkenswerte Sammlung wohltuend andersartiger Advents- und Weihnachtsgeschichten ohne Einschränkung ans Herz legen.