Rezension zu »Die Geliebten« von Elizabeth Subercaseaux

Die Geliebten

von


Belletristik · Pendo · · Gebunden · 272 S. · ISBN 9783866122710
Sprache: de · Herkunft: es

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Gottes Hand ist überall

Rezension vom 05.01.2012 · 2 x als hilfreich bewertet mit 1 Kommentaren

Ein und derselbe Schicksalsschlag trifft zur selben Zeit zwei Liebesbeziehungen an zwei Orten auf verschiedenen Kontinenten, und zwei folgenschwere Tragödien nehmen daraufhin einen nahezu identischen Verlauf. Was sich schier unglaublich anhört, entwickelt die chilenische Bestseller-Autorin Elizabeth Subercaseaux zu einem Handlungsplot, der so spannend wie ein Krimi zu lesen ist. Wird man schon solch einen Zufall für unmöglich halten, so treibt die Autorin ihr Konzept auf die Spitze: Sie führt auch noch zwei betroffene Figuren auf einem dritten Kontinent zusammen, lässt sie gemeinsame Jahre in einem indischen Ashram verbringen, ohne dass sie wissen, was sie miteinander verbindet. Erst am Schluss des Romans, als gar noch eine dritte, ebenfalls Betroffene zu diesem Ort reist und ihre Lebensgeschichte erzählt, wird die unerhörte Parallelität paradoxerweise glaubhaft.

Es ist Sonntag, der 17. Oktober 1999; wir befinden uns auf einem Landgut in Santiago de Chile und gleichzeitig in einer noblen Villa in Wallingford, Pennsylvania. Dieser außergewöhnliche Tag hat zwei Vorgeschichten.

Nahuel ist ein reicher chilenischer Landgutbesitzer mit vielen Pächtern und Arbeitern, die zusammen mit ihren Familien auf seinem riesigen Areal leben. Nach dem Tod seiner geliebten Frau Rosalina hat Nahuel Elisa geheiratet, eine römisch-katholische, erzkonservative Pinochet-Anhängerin, die er schon aus Kindertagen kennt. Gab es jemals Liebe zwischen ihnen, oder bot sich Nahuel nur eine günstige Möglichkeit, für seine Tochter Francesca eine fürsorgliche Mutter zu gewinnen? Jedenfalls stehen die beiden einander in ihren Lebenseinstellungen und politischen Ansichten diametral und unvereinbar gegenüber. Sexualität findet so gut wie nie statt. Elisa lässt die Prozedur ohne Gegenwehr, aber angewidert über sich ergehen; sie will das Gebot der katholischen Kirche, nur zur Fortpflanzung erhalte der Akt den göttlichen Segen, unbedingt einhalten und wird überdies von Horrorgeschichten übergroßer, schmerzhafter männlicher Geschlechtsteile verfolgt.

Im Herbst 1994 reist Nahuel auf der Suche nach einem Weingut, mit dem er seinen Importhandel mit französischen Weinen erweitern kann, in die Provence. Dort trifft er die charmante Französin Juliette und findet bei ihr all das, was seiner Ehe fehlt. Die beiden erleben eine tiefe Zuneigung füreinander und schaffen es, trotz der großen Distanz über zwei Kontinente eine Beziehung aufzubauen und bis zum Schicksalstag 1999 aufrecht zu erhalten.

In Wallingford lebt der angesehene Anwalt Joshua mit seiner Frau Alexa. Ihr liebevolles gemeinsames Familienglück findet innerhalb von Minuten ein jähes Ende, als ihre vierjährige Tochter bei einer simplen Mandelentfernung wegen eines Operationsfehlers verstirbt. Da packt beide ein Schmerz, der sie völlig lähmt. Statt einander tröstend beizustehen, sind sie zu keiner Umarmung fähig, können nicht weinen noch schreien. Eine Mauer richtet sich zwischen ihnen auf, sie ziehen sich in ihre Schneckenhäuser zurück. Alexa flüchtet in Depressionen, und Joshua geht ihr aus dem Weg. Als er in einer Bar zufällig auf ein junges Ding, Quinn, trifft, mit ihr ins Gespräch kommt, sie ihn zu sich nach Hause einlädt, ist dies der Anfang einer für Joshua sexuell bestimmten Beziehung, während Quinn angesichts seiner Geschenke, eines Hauskaufs und seines Versprechens, sich scheiden zu lassen, glaubt, sie habe die große Liebe gefunden. Auch diese Beziehung endet abrupt an dem bewussten Tag des Jahres 1999.

Elizabeth Subercaseaux hat mich mit ihrem Roman "Die Geliebten" total begeistert. Sie ist für mich eine absolute Neuentdeckung, die ich nicht mehr missen möchte. Faszinierend sind die literarische Gestaltung und der Aufbau ihres Werks, wenngleich ein wenig Konzentration vonnöten ist, wenn die Autorin in relativ kurzen Kapiteln zwischen Vergangenheit •1999 und davor) und Jetztzeit •2008) und zwischen verschiedenen Handlungsorten springt. In ständigem Wechsel lässt sie die diversen Figuren, die die Handlung tragen oder folgenschwer beeinflussen, aus ihren Perspektiven berichten. Diese Erzählungen gestaltet die Autorin derart intensiv, dass die spezifischen Eigenschaften jedes Erzählers sich in der Art seiner Darstellung ganz deutlich herauskristallisieren. Quinn beispielsweise beginnt so: "Sie fragen mich, wie mein Leben aussah ...?" (S. 7) und spricht damit scheinbar den Leser an, den sogleich Neugier erfasst – bis er erkennt, dass sie ihre emotionalen Schmerzen mitteilen, ihre Geschichte aufarbeiten muss, weil sie sonst nicht weiterzuleben fähig wäre – und dass sie sich dazu regelmäßig mit ihrem eigentlichen Zuhörer trifft: "Also bis Donnerstag ..." (S. 146).

Oder beobachten wir Prudencia, wie sie Elisa auf dem Landgut zur Seite steht: Fast nonnengleich gibt sie in ihren Bibelstunden moralapostolische Lebenshilfe, schreibt den Angestellten vor, wie sie sich gottgefällig zu verhalten haben, mischt sich dabei in das Sexualleben der Angestellten ein. Jede Verfehlung lässt sie sich zutragen, führt Buch darüber und nimmt sich das -allenfalls Nahuel zustehende – Recht heraus, langjährige zuverlässige und treue Mitarbeiter des Gutes zu verweisen, weil sie deren "Abartigkeiten" •wie außerehelichen Geschlechtsverkehr, Abtreibung u.ä.) weder tolerieren noch ungesühnt lassen kann. Solch Gottlose müssen verschwinden, ehe sie das Seelenheil der anderen gefährden. Ihre herrische, selbstherrliche und selbstgerechte Haltung spürt man in ihren Worten deutlich – und zuallererst in ihrem Leitspruch: "Gottes Hand ist überall" (S. 95); sie selbst maßt sich an, Gottes Hand zu sein.

Zwar beginnt der Roman mit Quinns vielen Fragen relativ locker, spritzig und unterhaltsam, doch schon bald ahnt man etwas unbestimmt Bedrohliches, bis sich langsam ein Gefühl der Beklemmung einschleicht und immer drängender die Frage aufkeimt, wohin der Roman wohl zielt, welches Desaster sich anbahnt, wie es zuschlagen wird ... Unglaublich, unfassbar, was Elizabeth Subercaseaux da erschaffen hat!

Mit meinen allerbesten Empfehlungen. Lassen Sie sich diesen Roman nicht entgehen!


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Kommentare

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Zu »Die Geliebten« von Elizabeth Subercaseaux wurden 1 Kommentare verfasst:

Gabriele Rogge schrieb am 23.02.2022:

Ein supertolles, spannendes Buch.

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