Der Hund des Nordens
von Elizabeth McKenzie
Die gute Penny steht vor einem Scherbenhaufen: Ehe gescheitert, Job gekündigt, Eltern verschollen, Großmutter durchgedreht. Ihre Neigung, sich um alles und jedes kümmern zu wollen, führt sie bis nach Australien. Auf ihren Wegen begegnen ihr jede Menge bunter Käuze.
Ein Mädchen für alles
Penny Rush ist 35 und sitzt im Zug von Salinas nach Santa Barbara. Die geruhsame Fahrt will sie genießen und nimmt sich sogar Zeit, sich von einer Wahrsagerin aus der Hand lesen zu lassen. Doch etwas Neues erfährt sie dabei keineswegs. »Sie lassen sich leicht ausnutzen« – das war ihr schon immer klar. Dann muss sie eine Weile einem unerhört lauten Ehepaar zuhören, bis sie sich endlich in ihre eigene Familienwelt versenken kann. Santa Barbara: Dort, wo sie als Kind bei den Großeltern schöne Tage verbracht hat, will sie jetzt einen Gegenpol finden zu der misslichen Lebenssituation ihrer Gegenwart. Mit der Wäsche ihres Mannes hat sie einen ausgeleierten Tanga mitgewaschen und kam so seinen Koks-Eskapaden mit einer anderen auf die Schliche, die Aussprachen mit ihm waren demütigend, seit drei Wochen wohnt sie in einem Motel, hat jetzt ihren Job gekündigt und alle Brücken abgebrochen.
Insgesamt war Pennys Kindheit allerdings auch nicht gerade glücklich. Ihre Mutter Ardis war stets von Rastlosigkeit getrieben und brach wiederholt zu neuen Ufern auf. Schließlich ließ sie den »amerikanischen Traum« und ihre Tochter in Kalifornien zurück und wanderte mit ihrem zweiten Ehemann nach Australien aus, wo beide in ungebremster Abenteuerlust von Ort zu Ort zogen, bis sie fünf Jahre vor Pennys Zugfahrt vollständig von der Weltkarte verschwanden.
Mit Pennys Ankunft in Santa Barbara nimmt eine schier endlose Reihe von mehr oder weniger grotesken Anekdoten ihren Lauf, bevölkert von zahlreichen Personen meist greller Couleur. Am Bahnhof holt Penny ein langjähriger Vertrauter der Familie ab, der Steuerberater Burt Lampey. Im Laufe der Zeit erfahren wir, dass der Toupetträger eine gescheiterte Ehe hinter sich, eine Tochter in Montreal und einen vierzehn Jahre jüngeren Bruder in San Franciso hat. Als der eines Tages anreist, um sich persönlich um das Wohl seines Bruders zu kümmern, weiß Penny selbst nicht so genau, warum sie ihn unwiderstehlich findet.
Die skurrilste Figur ist zweifellos Pennys 82-jährige Großmutter Luise. Der robusten, selbstsicheren alten Texanerin kann niemand so leicht ein O für ein U vormachen. Als Ärztin ist sie zwar im Ruhestand, doch Notfälle wie Burts Kollaps zu behandeln traut sie sich allemal noch zu. Ihr Dickkopf schafft ihr und ihren Mitmenschen ebenso heftige Probleme wie ihr Messi-Haushalt, in dem sie schier zu ersticken droht. Auch ihre Aggressivität macht den Umgang mit ihr nicht angenehmer – sie »hatte etwas unbestreitbar Teuflisches an sich«. Das bekommt nicht nur Burt zu spüren, wenn sie ihn schmäht (»ein nützlicher Idiot«) und ihm Veruntreuung und Diebstahl unterstellt. Wehe dem, der sie auf dem falschen Fuß erwischt, wenn sie mit ihrer Waffe unterwegs ist. So hätte der Fahrer von »Essen auf Rädern« kürzlich um sein Leben fürchten müssen, wenn er es gewagt hätte, ihr Grundstück zu betreten.
Auch Großmutters Ehe mit Arlo Pincer war von Streitereien geprägt. Seit Langem stimmt ihn traurig, dass seine Tochter irgendwo im Outback verschwunden ist. Jetzt lebt er mit Doris Roofla Reshnappet, einer umwerfend gut aussehenden, herzlosen Frau von nicht einmal siebzig Jahren zusammen. Die würde den 93-Jährigen gern in ein Heim abschieben, zumal er nach einem Sturz ambulanter Pflege bedarf. Arlo seinerseits glaubt, seine hübsche Doris samt derzeitiger Pflegerin wollten ihn umbringen.
Zu dem Potpourri von traurig-komisch verkorksten Figuren gesellt sich Pennys biologischer Vater Gaspard, der seit ewigen Zeiten gegen psychische und geistige Probleme ankämpft und jetzt nach langer Arbeitsunfähigkeit einen Job als Sattelschlepperfahrer hat.
So geht es weiter und weiter. Episode folgt auf Episode, ohne dass sich ein irgendwie stimmiges Handlungskonzept oder ein sinnstiftendes Motiv erschließen ließe – außer dass Penny genug Gründe findet, sich kümmern zu müssen.
Während ihres Aufenthalts in Santa Barbara hat sie eine kostengünstige Unterkunft in Burts bunt bemaltem Kleinbus. Der trägt den Namen »Der Hund des Nordens« (übertragen vom Lieblingsroman von Burts Exfrau), spielt aber trotzdem nur eine untergeordnete Rolle im Plot. Penny schläft halt hier auf einem Futon und fährt das schaukelnde Vehikel gelegentlich. Im Gegenzug kümmert sie sich um »Quetschie«, Burts Zwergspitz mit eigenem Handlungsstrang.
Als hätte sie nicht schon genug zum Kümmern an der Backe, macht ihre jüngere Schwester Margaret aus Australien Druck: Was soll mit dem verfallenen Elternhaus geschehen? Und was ist aus den Eltern eigentlich geworden?
Mit diesem Startschuss bricht auf Seite 179 endlich der »Roadtrip« los, den der Klappentext des Buches verspricht. Penny jettet nach Down Under, begleitet von Opa Arlo und dem Minihund, um die Eltern zu suchen.
Auch wenn ich dem ganzen Mischmasch aus schrägen Figuren und abstrusen Situationen keinerlei tieferen Sinn abgewinnen konnte, beschert Pennys Erlebniserzählung uns Lesern nette Unterhaltung, leichtfüßig und umweht von einem zarten Hauch eigenartiger Melancholie. Jeder der vielen Charaktere ist individuell und detailversessen gezeichnet, und jeder ist auf seine eigene Weise mehr oder weniger verstörend. Kann Penny glauben, dass Burt sein Toupet mit dem Bruder in San Francisco teilt und per Post hin und her schickt?
Die Gute führt ein unruhiges Dasein. Ständig kreuzen neue Käuze und Überraschungen ihren Weg, drängen ernste Entscheidungen. Leider finden auch wir im flachen, aber breiten Wildbach inhaltlicher Irrungen und Wirrungen keinen Halt und verlieren die Orientierung auf der Suche nach einem Ziel.
»The Dog of the North« wurde von Stefanie Ochel ins Deutsche übersetzt.