Commissario Pavarotti kam nie nach Rom
von Elisabeth Florin
Zwei deutsche Touristen werden in einem Meraner Luxushotel erschossen. Die Ermittlungen führen Commissario Pavarotti auf verschlungenen Pfaden zurück zur »Rattenlinie«, auf der kurz nach dem Krieg Flüchtlinge aller Art Europa den Rücken kehren konnten. Zwischenmenschliche Reibereien und Rivalitäten erschweren seine Arbeit.
Die Vergangenheit lebt
Das passt nun gar nicht zum Image der sonnenverwöhnten, charmanten Südtiroler Metropole Meran. Da liegt ein deutsches Ehepaar in aller Seelenruhe am Pool eines Luxushotels – und wird mit je einem gezielten Schuss in die Stirn ermordet. Die Opfer, Anna und Lex Santer aus Glashütten im Taunus, haben davon offensichtlich gar nichts mitbekommen, so entspannt sind sie noch im Tod. Das sieht nach professioneller Arbeit aus.
Nicht jedoch für Commissario Luciano Pavarotti, nicht verwandt, nicht verschwägert und nicht verschwippt mit dem berühmten Tenor, dafür bereits zum vierten Mal Protagonist eines Südtirol-Krimis von Elisabeth Florin. Geheimnisvoll, wie ihn die Autorin einführt – im schwarzen Armani-Anzug im Nachtzug Bozen-München, ein bleicher Mann mit depressiven Schüben, den sogar seine eigene Schwester hasst (wenngleich sie sich um ihn sorgt) –, könnte man ihn leicht für einen Auftragsmörder halten. In Wirklichkeit hat er sich nach einer radikalen Fastenkur auch optisch von seinem Namensvetter distanziert und geht nun als zeitgemäßes Update seiner selbst (»Luciano Pavarotti 2.0«) seiner ehrenwerten Tätigkeit nach.
Der Mann im Anzug im Zug reist im dienstlichen Interesse, aber persönlich höchst ungern in den Taunus, wo er einen deutschen Kollegen treffen wird. Hier lebten die Santers, er als Teilhaber einer Agentur, die Investmentfonds analysiert, sie als Autorin von Kriminalromanen mit historischem Hintergrund. Dorthin hat sich allerdings auch Liselotte von Spiegel zurückgezogen – die Letzte, der Pavarotti noch einmal begegnen möchte. Dabei ist »Lissie«, Hobby-Ermittlerin und ebenfalls Kriminalschriftstellerin, seine große Liebe gewesen, bis ein dramatisches Ereignis ihre Beziehung irreparabel beschädigte. Hatte er Lissies Herz einst mit seinem Sehnsuchtsort Rom gleichgesetzt, so steht jetzt fest, dass er dorthin »niemals« gelangen würde.
Natürlich treffen Pavarotti und Lissie, zwei einander anziehende und abstoßende Pole, doch aufeinander. Bald stecken beide im Fall Santer, verfolgen jedoch sorgsam getrennte Pfade. Lissie war nämlich eine gute Freundin Anna Santers und beim selben Verleger unter Vertrag. Sie weiß, dass Anna gerade an einer brisanten Enthüllungsstory arbeitete, begleitet deshalb Pavarotti (der den Mörder im Umfeld des großen Geldes vermutet) nach Meran und mietet sich auf den Spuren der Ermordeten in deren Hotel ein. De facto kocht sie ihr eigenes Süppchen, denn gerne würde sie über Annas Thema selbst einen Bestseller lancieren.
Mit Annas und Lissies Recherchen kommt ein unverbrauchtes, hochinteressantes und noch dazu geschichtlich authentisches Thema ins Spiel. Auf der »Rattenlinie« (auch als »Klosterroute« oder »Römischer Weg« bekannt) haben sich nach dem Krieg neben unbescholtenen Flüchtigen auch eine Menge großkalibriger Nationalsozialisten und Kollaborateure nach Südamerika abgesetzt. Südtirol war für alle die erste und äußerst nützliche Station im Ausland, denn die Region stand seit Dezember 1945 nicht mehr unter alliierter Kontrolle, war den Deutschen traditionell wohlgesonnen, und vor allem standen im Klerus und dem Roten Kreuz zahlreiche einflussreiche Helfer bereit, die falsche Papiere und neue Identitäten verschaffen konnten. Der Vatikan und die alliierten Geheimdienste unterstützten diese Aktivitäten als Teil ihrer antikommunistischen Politik und nahmen in Kauf, dass sie damit selbst Kriegsverbrecher und SS-Mörder der Gerichtsbarkeit entzogen und ihnen viele unbeschwerte Jahre in Freiheit bescherten.
Die Autorin bindet dieses Thema prominent in ihren Plot ein (inklusive kursiv abgesetzter Rückblenden und einem aufschlussreichen Anhang von acht Seiten), rückt es aber nicht in den Mittelpunkt der erzählten Handlung. Sicher gab es viele Fluchtepisoden aus der Zeit, die sich für die Aufbereitung in einem packenden Krimi angeboten hätten. Darauf verzichtet Elisabeth Florin. Stattdessen folgen wir aufwändigen und gefahrvollen Recherchen, bis die Ermittler und wir endlich eine komplex verflochtene Spur von der »Rattenlinie« bis zum Meraner Doppelmord nachvollziehen können.
Viel Raum – meiner Ansicht nach zu viel – nimmt die Gestaltung der Charaktere und der Beziehungen zwischen ihnen ein, zumal das Kleeblatt der Protagonisten (Pavarotti, Lissie und Ispettore Emmenegger) immer weiter ins Schräge abgleitet und im aktuellen Fall eher auseinanderdriftet, statt zu kooperieren. Lissie kämpft mit Alkoholproblemen, Gedächtnisstörungen und unkontrollierter Hyperaktivität. Pavarotti, psychisch labil und mit erstaunlich unterentwickelter Menschenkenntnis, geriert sich als wichtigtuerischer und arroganter »Medienstar von Meran«. Ispettore Emmenegger schließlich (insgeheim ebenfalls ein Verehrer Lissies) wurde zwar Anerkennung in Form einer Beförderung zuteil, ist aber am Ende des Tages doch nur der traurige »Hund« seines Herrchens und bekommt dessen Launen als Fußtritte ab. Dabei ringt er ohnehin mit den Erinnerungen an seine Ex, die schon mal einen »Bratenwender« schwang, wenn er mal wieder das ganze Geld in einer Kneipe versoffen hatte. Dieses Mal hat sein Alkoholkonsum tragische Konsequenzen.
Elisabeth Florins vierter Südtirol-Krimi ist ein komplexes Opus, das den Leser mit vielen Wendungen überrascht, eine gute Spannung aufbaut und geschickt aufrecht erhält (Cliffhanger), so dass man gern am Ball bleiben möchte. Doch die interessante »Rattenlinie« liefert nur den Hintergrund, während die Protagonisten ihre Befindlichkeiten, Marotten und Schwächen ausführlich ausleben dürfen. Ein wenig zarte Ironie trägt zwar dazu bei, dass das Psychogramm den Krimi nicht an den Rand drängt, aber ich wünsche mir, dass die drei unterschiedlichen, in sich widersprüchlichen Charaktere bis zum nächsten Fall ihre Selbstbespiegelungen und Eifersüchteleien ablegen, sich wieder auf ihre Stärken besinnen und vernünftig zueinander finden – im Interesse einer konzentrierten Ermittlungsarbeit.
• Band 1: »Commissario Pavarotti trifft keinen Ton« (2013)
• Band 2: »Commissario Pavarotti küsst im Schlaf« (2014)
• Band 3: »Commissario Pavarotti spielt mit dem Tod« (2016) [› Rezension]
• Band 4: »Commissario Pavarotti kam nie nach Rom« (2018) [› Rezension]