Rezension zu »Runen« von Elías Snæland Jónsson

Runen

von


Thriller · Rütten & Loening · · Taschenbuch · 412 S. · ISBN 9783352008122
Sprache: de · Herkunft: is

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Runen, Raunen, Rätsel

Rezension vom 01.11.2011 · 1 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Welche Mythen, welche Mystik, welche Magie, wie viel Aberglaube rankt sich für den Laien um das Wort "Runen"! Das kommt einerseits daher, dass diese bis zu 1600 Jahre alten Schriftzeichen, die man auf Steineinritzungen, Grabplatten und Waffen vorwiegend im skandinavischen Raum fand, für uns Normalbürger nicht zu entziffern sind. Da sie zudem aus dunklen Tiefen der Geschichte stammen, über die wir kaum zuverlässige Zeugnisse besitzen, wirken sie geheimnsivoll und lassen viel Raum für Spekulationen aller Art. Zum anderen wurden Runen während des Nationalsozialismus als Symbole hehren Germanentums verherrlicht und für ideologische und politische Zwecke instrumentalisiert. Jeder kennt deswegen noch heute die "Sig"-Rune, die als Emblem der SS vereinnahmt wurde.

Mehr Informationen erhält man aus einem knapp zehnseitigen "Einblick in die Runenkunde", verfasst von Richard Kölbl, am Ende des Romans. Es empfiehlt sich, finde ich, diese Einführung zu lesen, bevor man sich dem Thriller "Runen" von Elías Snæland Jónsson widmet.

Hätte die TV-Nachrichtensprecherin Melkorka geahnt, dass dies die letzten Stunden mit ihrem geliebten Großvater Höskuldur Steingrimsson sein würden, hätte sie sich doch etwas mehr Zeit für seine Einladung genommen. Er war von seiner kleinen Insel nach Reykjavik gekommen, hatte sich ein Zimmer im Hotel gemietet und seine Enkelin zum gemeinsamen Abendessen geladen. Denn es war sein 90. Geburtstag.

Am nächsten Tag klingelt die Polizei an Melkorkas Tür, und sie bringen schreckliche Nachrichten. Ihr Großvater habe sich erschossen – und zwar vor einem deutschen Soldatengrab, in Uniform, mit einer SS-Armbinde und einem Runenzeichen am Kragen. Melkorka ist sprachlos. Das kann nicht wahr sein: Ihr liebenswerter Großvater soll ein Nazi, ja ein ehemaliger SS-Offizier gewesen sein?

Ein mit Höskuldur befreundeter Anwalt regelt dessen Nachlass. Er teilt Melkorka mit, dass sie Höskuldurs Haus erbt, und überreicht ihr eine schwarze Aktentasche. Darin befinden sich:

- ein Umschlag mit einem Zettel und einer für sie nicht verständlichen Botschaft "Zur Entfesselung aus Loeðingur: 324136",

- ein Päckchen, das einen Siegelring mit Totenkopf, SS-Zeichen, Hakenkreuz und Gravur "H. Himmler, H. Steingrim August 1943" enthält,

- ein Notizbuch mit der Inschrift "DEUTSCHES AHNENERBE" und eingeklebten Schwarzweißfotos. Auf einem davon posieren zwei SS-Offiziere vor einem deutschen U-Boot.

Melkorka wirft einen Blick in das Notizbuch: nichts als Buchstabenreihen, die keinen Sinn ergeben. Traurig, wütend, ohnmächtig und schaudernd steckt Melkorka alles zurück in die Tasche.

Sie braucht eine Auszeit, um herauszufinden, was dieses geheimnisvolle Erbe zu bedeuten hat. Dazu muss sie Fachleute konsultieren – Historiker, Runenforscher. Einem Professor der Uni Reykjavik gelingt es, das Buch zu übersetzen. Ganz offensichtlich war Großvater Höskuldur der wichtigste Mann für Heinrich Himmler, den Reichsführer der SS und fanatischen Anhänger der Runenmythologie, als er das Geheimnis einer mächtigen germanischen Waffe ("Thors Hammer") ergründen wollte.

Doch noch steht Melkorka am Anfang ihrer Recherche. Wer sind die zwei Soldaten, die vor dem U-Boot posieren? Wurde dieses U-Boot wirklich in den Wirren des Krieges vom Meer verschluckt? Was geschah mit seiner Besatzung? Und wo verblieben die mitgeführten Goldreserven der Deutschen Reichsbank?

Schneller als der Wind verbreitet sich, dass eine junge Frau auf brisantes historisches Geheim-Material gestoßen sei. Sie hat schlafende Hunde geweckt – eine tödliche Meute, die sich an ihre Spur heften.

In einem durchgehenden Handlungsstrang beschreibt der Autor in sehr flüssiger, eingängiger Sprache, wie Melkorka sich peu à peu der Lösung nähert. Der Leser ist immer dichtauf und auf Augenhöhe mit der Protagonistin, so dass der Roman sehr stringent und bestens nachvollziehbar bleibt. Das Dritte Reich, die Bedeutung der Runen, die nordische Edda-Sage mit ihren vielen Gesängen um Odin und andere Götter – all dies hat Jónsson zu einem "Thriller" (Klappentext) verbunden: Weder reißerisch noch grausam, sondern fesselnd, aufschlussreich und mit unerwarteten Wendungen, die den Leser bis zum Schluss im Bann halten.

Auf der Frankfurter Buchmesse 2011 präsentierte sich das kleine Land mit seiner umfangreichen Literatur unter dem Motto "Sagenhaftes Island" als Ehrengast. Dabei wurde auch "Runen" von Elías Snæland Jónsson vorgestellt. Die skandinavischen Thriller haben sich die vordersten Plätze der Bestseller-Listen in diesem Genre erobert: Island wird sich in Zukunft auch dort etablieren.


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