Rezension zu »Zwischen zwei Nächten« von Edith Kneifl

Zwischen zwei Nächten

von


Kriminalroman · Haymon · · Taschenbuch · 149 S. · ISBN 9783852188881
Sprache: de · Herkunft: at

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Rezension vom 02.10.2011 · 1 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Die erste weibliche Autorin, die mit dem begehrten Glauser-Preis für den besten deutschsprachigen Krimi des Jahres ausgezeichnet wurde, ist die 1954 in Wels (Österreich) geborene Edith Kneifl, und sie erhielt den Preis gleich für ihren ersten Krimi "Zwischen zwei Nächten". Das war 1992. Inzwischen hat die promovierte Psychologin viele Erzählungen, Essays, Drehbücher und fünfzehn weitere Kriminalromane veröffentlicht, zuletzt "Stadt der Schmerzen" (2011) , und sich als wichtigste und erfolgreichste Kriminalautorin Österreichs etabliert. Ihren Debütroman hat der Haymon-Verlag nun nach zwei Jahrzehnten neu herausgegeben.

Annas Koffer sind gepackt, die Scheidung ist eingereicht, ihr Architekturbüro wird sie verkaufen, und morgen wird sie nach New York fliegen. Dort lebt Ann-Marie, ihre langjährige Freundin. Mit ihr will sie an der Lower East Side eine gemeinsame Zweizimmerwohnung beziehen und ein neues Leben beginnen.

Doch Ann-Marie wartet am Kennedy-Airport vergeblich auf ihre Freundin, denn in der Nacht zuvor ist Anna über die Terrassenbrüstung ihrer Wohnung im siebten Stock in den Tod gesprungen.

Ann-Marie erhält die Nachricht von Frau Maricek, Annas Putzfrau, und kann sie nicht fassen: Warum jetzt ein Suizid, wo doch alles bestens geplant und die hoffnungsfrohe Zukunft zum Greifen nahe war? Völlig von der Rolle kratzt die Lebenskünstlerin Ann-Marie ihr weniges Geld zusammen, pumpt sich den Rest von Freunden und ihren armen puertoricanischen Nachbarn und kauft ein Flugticket nach Wien. Bald steht sie dort an Annas offenem Grab, sieht den Sarg in der Grube verschwinden – ein Bild, das sie nie vergessen will.

Inmitten der illustren Trauergesellschaft fühlt sich Ann-Marie deplaziert. Sie durchschaut schnell die Scheinheiligkeit der Gäste, deren einziges Lebensziel im Geldanhäufen besteht. Beim Leichenschmaus in einem standesgemäß feudalen Lokal dreht sich ihr beim Anblick der gierig zuschlagenden Wohlsituierten der Magen um. Erste Gesprächspartner findet Ann-Marie in Frau Maricek und ihrem Sohn, einem Punk, die beide, genau wie sie, wahrscheinlich nur notgedrungen geduldete Gäste in diesem Milieu sind. Die Mariceks bestärken Ann-Marie in ihrem Bauchgefühl, dass Anna niemals Selbstmord begangen haben könne; sie sei ja so fröhlich gewesen, weiß Frau Maricek zu berichten. Und der Junge spricht offen aus, was keiner zu denken wagt: Könnte es vielleicht auch ein Mord gewesen sein?

Rückblende: Zwei Monate vor dem unerwarteten Todesfall erhält Ann-Marie nach vielen Jahren der Distanz einen ziemlich aufgelösten Brief von Anna, in dem sie sie bittet, sie in Wien zu besuchen. Ann-Marie folgt dem Wunsch, und die beiden haben ein paar Tage Zeit, sich intensiv auszutauschen.

In subtiler Dichte und Tiefe entwickelt die Autorin nun die Psychogramme zweier konträrer Persönlichkeiten. Dem Leser wird behutsam vermittelt, dass die innige Freundschaft der beiden Frauen schon vor Jahren Risse bekommen hat: Ann-Marie setzte sich nämlich bewusst nach New York ab, weil sie es nicht mehr ertragen konnte, wie Anna, nachdem ihr ihr Vater sein Architekturgeschäft vermacht hatte, sich ganz selbstverständlich einem bequemen und oberflächlichen Leben in Wohlstand hingab. Im gemachten Nest sitzend, ließ die verwöhnte Frau ihr persönliches Chaos gern von anderen aufräumen und entfernte sich politisch weit von den früher geteilten Idealen: Während der gemeinsamen Studienzeit hatten die beiden in einer WG gelebt, für die Frauenbewegung gekämpft, waren auf die Straße gegangen, hatten Sexshops beschmiert usw.

Doch all das ist lange vergangen. Inzwischen hat Anna in der von Männern beherrschten Domäne ihres Architekturbüros keine Verantwortung mehr. Ihre Ehe mit Alfred ist zerrüttet; Alfred geht fremd, blamiert sie bei gemeinsamen Freunden als frigide. Sie zieht sich zurück. Alkohol und Bar-Bekanntschaften lenken sie nur kurz von ihren schweren psychischen Bedrängungen ab: Angstattacken, Ablehnung ihres eigenen hässlichen Körpers, Empfindungen von Einsamkeit und Leere. Sprachlich äußert sich diese manisch-depressive Stimmung in einem langen Monolog ohne jegliches Satzzeichen (S. 88-102) : Gedanken kreisen und kreisen, wie in einer Spirale, aus der sie keinen Ausgang mehr finden. Bei Ann-Marie (wie auch beim Leser) kommen Zweifel auf: Was glaubt Anna in New York finden zu können? Würde sie überhaupt in der Lage sein, ein gemeinsames Leben mit Ann-Marie zu führen, abgedreht wie diese ist, und in einer Umgebung voller Kriminalität und Armut? Oder hat sie womöglich selbst ihre Grenzen erkannt und sich tatsächlich umgebracht? Wir möchten nicht wahrhaben, was vielleicht doch sein könnte ...

Doch noch sind wir mit Ann-Marie auf der Suche nach der Wahrheit. Obwohl sie Alfred abgrundtief hasst, muss sie noch mit ihm sprechen, will ihn aushorchen. Wir Leser bleiben permanent angespannt; die ständigen Szenenwechsel treiben uns voran: Ann-Marie im Gespräch mit Personen, die Anna kannten; Ann-Marie im Gespräch mit Anna; Ann-Marie auf der Hatz nach einem potenziellen Mörder; dazu die Phasen des erschütternden Lebensberichts einer innerlich zerstörten Frau.

"Zwischen zwei Nächten" ist kein Kriminalroman im herkömmlichen Sinne, sondern ein psychologisches Meisterwerk.


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