Eingefroren
von Doug Johnstone
Drei schottische Frauen aus drei Generationen managen mit gutem Willen und Humor ein Bestattungsinstitut, eine Detektei und ihre beachtlichen persönlichen Probleme, dazu Misshandlungen, Missbrauch, Morde und anderes in ihrem morbiden Umfeld.
Too much of a good thing
Die Skelfs, Protagonistinnen einer in Edinburgh angesiedelten Krimi-Reihe, sind drei höchst ungewöhnliche Frauen: Dorothy (die Großmutter, 70), Jenny (ihre Tochter, 40) und Hannah (die Enkelin, 18). Gemeinsam betreiben sie ein Bestattungsinstitut und als zweites Standbein eine Privatdetektei. Jim Skelf, der Großvater und Gründer der beiden Unternehmen, ist ein halbes Jahr zuvor völlig überraschend gestorben (wovon der erste Band der Reihe erzählt). Die drei Frauen bilden eine feste Gemeinschaft, getragen von gegenseitigem Verständnis und Solidarität. Wenn sie in der Küche, gewissermaßen ihrer Kommandozentrale, zusammenkommen, zeigen sie alle Einsatz, um die anstehenden Aufgaben sinnvoll aufzuteilen und zu erledigen. Unterstützung finden sie in Archie, dessen Kunst des perfekten Einbalsamierens den Leichen gleichsam wieder Leben einhaucht und dem Tod jeglichen Schrecken nimmt.
Damit ist allerdings schon aufgezählt, was im Leben dieses familiären Dreierbundes positiv zu Buche schlägt. Sehr viel anderes ist verwunderlich oder lässt uns nachgerade schaudern angesichts all der Absonderlichkeiten in Gegenwart und Vergangenheit der Skelfs.
Eine zentrale Rolle spielt in dieser Hinsicht Jennys Ex-Ehemann Craig. Er hat seine Frau nicht nur betrogen und brutal misshandelt, sondern auch mit einer anderen Frau eine Tochter gezeugt und sogar Mel, die beste Freundin seiner ehelichen Tochter Hannah, geschwängert. Da Jenny das Ekel schließlich angezeigt hat, sitzt er jetzt in Haft. Dort schmiedet er Rachepläne und wartet auf seine Berufungsverhandlung, in der er Unzurechnungsfähigkeit geltend machen will.
Bei Jenny hat all das Traumata hinterlassen, die sie bewogen haben, ihren Job als Journalistin ruhen zu lassen und nolens volens wieder ins Haus der Familie einzuziehen. Hier will sie Würde und Sicherheit wiedererlangen und aus ihrem Leben verbannen, was an Horror hinter ihr liegt.
So jung sie ist, hat auch Hannah schon Entsetzliches durchleben müssen, nicht nur innerhalb ihrer Familie. Wie kann eine so junge Frau es verarbeiten, dass ihre beste Freundin missbraucht und später brutal ermordet wird? Indy und Dorothy haben ihr zu einer Therapie geraten, doch ist sie überzeugt, dass ältere Erwachsene sie schon aus Prinzip niemals verstehen können.
Dorothy erscheint mit ihren sieben Jahrzehnten als die gesetzteste der drei Frauen. Fünfundvierzig Jahre Berufserfahrung in der Bestattungsbranche geben ihr Sicherheit, Sinn und Lebensfreude. Aber auch sie hat schwere Schläge hinnehmen müssen, gerade nach Jims Tod, als sie allerlei Rätselhaftes und Verletzendes erfahren und aufklären musste. Dabei ist sie eine warmherzige, aufgeschlossene Frau, die nicht anders kann als sich jeder verlorenen Seele anzunehmen, ob das ein zugelaufener Kater oder eine heimatlose junge Frau ist wie Indy, die dunkelhäutige Hindu, die nach dem Tod ihrer Eltern ins Haus der Skelfs eingezogen ist, beim Vorbereiten der Bestattungen hilft und ein zärtliches Verhältnis zu Hannah entwickelt hat.
Wenn Dorothy das Bedürfnis abzutauchen hat, spielt sie Schlagzeug. Wer sich dafür interessiert, kann auch bei ihr Unterricht bekommen, so wie die vierzehnjährige Abi. Als das Mädchen eines Tages nicht zum vereinbarten Termin erscheint, muss sie die Suche nach ihr selbstverständlich selbst in die Hand nehmen. Hilfreiche Insidertipps für ihre detektivischen Aufgaben darf sie sich immer von Thomas Olsson, einem schwarzen Polizisten schwedischer Herkunft, erhoffen, der ihr, obwohl wesentlich jünger, ein guter Freund und Vertrauter in allen Lebenslagen ist.
Die vielfach verästelte Handlung dieses Romans, in der Humor, Horror, Skurrilität, Spannung, Psychologie und Exkurse in die Physik nahe beieinander liegen, wird aus regelmäßig wechselnden Perspektiven der drei Frauen erzählt, und Dorothy macht mit einer slapstick-reifen Begräbnisszene den Anfang. Susan Blackie, Ehefrau und Mutter zweier Söhne, soll würdevoll ins Grab gesenkt werden, als plötzlich Polizeisirenen die Lufthoheit erobern, ein alter weißer Nissan quer durch den Friedhof rast, um Grabsteine herum schlingert und schließlich just in Susans Grab stecken bleibt. Der Amokfahrer, ein junger Mann von verlottertem Erscheinungsbild und ohne Papiere, hat die Fahrt nicht überlebt, wohl aber sein Begleiter, ein Border Collie, der, wie zu erwarten, bei den Skerfs ein neues Zuhause finden wird.
Danach geht es in Jennys und Hannahs Erzählparts Schlag auf Schlag weiter. Die umfangreichen Arbeiten des Beerdigungsinstituts, die viel Einfühlsamkeit erfordern, nehmen einen Teil der Erzählung ein, aber aufregender ist natürlich, was in der Familiendetektei abgeht und wie die Frauen mit ihrer gefährlichen Bedrohung durch Craig fertigwerden. Der würde nicht einmal vor Mord zurückschrecken.
Man spürt dem Geheimnis des unbekannten Friedhofsrasers nach, Dorothy sorgt sich um Abi, die gänzlich von der Bildfläche verschwunden ist, und Hannah, die Physik studiert, begeistert sich für Hugh Fowler, ihren Professor, und seine Vorlesungen zur Quantenphysik, insbesondere zum Gedankenexperiment »Schrödingers Katze«. (Der Autor ist selber Atomphysiker und bringt hier und da seine hauptberuflichen Kompetenzen ein.) Ausgerechnet Hannah muss ihren Lieblingslehrer leblos auf seinem Schreibtisch niedergesunken vorfinden.
Dieser Roman hat eine derartige Fülle an Stoff, Handlungssträngen und Einfällen zu bieten, dass es gewiss auch in den avisierten Folgebänden nicht langweilig werden wird. Die originelle Kombination von Bestattungsinstitut und Detektei sorgt in beiden Ressorts für ungewöhnliche Details zwischen Witz und Verbrechen, und Edinburgh mit seinem altehrwürdigen Zentrum und auch seinen Großstadtproblemen ist ein attraktiver Schauplatz. Da scheinen dem Autor komische, makabre und skurrile Situationen förmlich vor die Füße zu kullern.
Andererseits stellt sich beim Lesen dieses Ideen-Feuerwerks Übersättigung ein, insbesondere wenn die kleine Welt der Skelfs bis in die letzten Winkel mit Absonderlichkeiten vollgestopft ist. Als ob Melanie mit Craig, dem Vater ihrer Freundin, nicht schon genug Probleme an der Backe hätte, lässt sie sich auf eine weitere heiße Affäre ein, die keine Aussicht auf ein glückliches Ende verspricht. Oder nehmen wir Archie. Es genügt nicht, dass er im Bestattungsinstitut zuverlässig arbeitet, nein, er leidet auch unter dem Cotard-Syndrom, hat zehn Jahre zuvor einen Arbeitskollegen ermordet, dieser wiederum hatte sich an einer toten Frau vergangen und so weiter und so fort. Bitte nehmen Sie mir das bisschen Spoilern nicht übel – es bleiben noch genug Überraschungen im Buch übrig, die mit Missbrauch, Untreue und Perversionen zu tun haben.
Man hat das literarische Rezept, mit dem Doug Johnstone hier gute Erfolge verzeichnet, »Tartan Noir« getauft. Als sein Erfinder gilt William McIlvanney [› 2 Rezensionen], Val McDermid [› Rezension] und Ian Rankin sind weitere bekannte Vertreter des Genres. Wer Doug Johnstones Mixtur mag und ihrer nicht so leicht überdrüssig wird, darf sich auf insgesamt fünf Teile freuen:
• »A Dark Matter« (2020), dt. »Eingeäschert« (2022, Übersetzung von Jürgen Bürger)
• »The Big Chill« (2021), dt. »Eingefroren« (2023, Übersetzung von Jürgen Bürger)
• »The Great Silence« (2022)
• »Black Hearts« (2023)
• »The Opposite of Lonely« (2024)