Rezension zu »Eingefroren« von Doug Johnstone

Eingefroren

von


Drei schottische Frauen aus drei Generationen managen mit gutem Willen und Humor ein Bestattungsinstitut, eine Detektei und ihre beachtlichen persönlichen Probleme, dazu Misshandlungen, Missbrauch, Morde und anderes in ihrem morbiden Umfeld.
Kriminalroman · Polar · · 394 S. · ISBN 9783948392871
Sprache: de · Herkunft: gb

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Too much of a good thing

Rezension vom 27.05.2024 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Die Skelfs, Protagonistinnen einer in Edinburgh ange­siedel­ten Krimi-Reihe, sind drei höchst unge­wöhn­liche Frauen: Dorothy (die Groß­mutter, 70), Jenny (ihre Tochter, 40) und Hannah (die Enkelin, 18). Gemeinsam betreiben sie ein Bestat­tungs­insti­tut und als zweites Stand­bein eine Privat­detektei. Jim Skelf, der Groß­vater und Gründer der beiden Unter­nehmen, ist ein halbes Jahr zuvor völlig über­raschend gestorben (wovon der erste Band der Reihe erzählt). Die drei Frauen bilden eine feste Gemein­schaft, getragen von gegen­seiti­gem Ver­ständnis und Solida­rität. Wenn sie in der Küche, gewisser­maßen ihrer Kom­mando­zentrale, zusam­men­kommen, zeigen sie alle Einsatz, um die anste­henden Aufgaben sinnvoll aufzu­teilen und zu erledi­gen. Unter­stüt­zung finden sie in Archie, dessen Kunst des perfekten Ein­balsamie­rens den Leichen gleichsam wieder Leben einhaucht und dem Tod jeglichen Schrecken nimmt.

Damit ist allerdings schon aufgezählt, was im Leben dieses fami­liären Dreier­bundes positiv zu Buche schlägt. Sehr viel anderes ist verwun­derlich oder lässt uns nach­gerade schaudern ange­sichts all der Abson­derlich­keiten in Gegenwart und Vergan­genheit der Skelfs.

Eine zentrale Rolle spielt in dieser Hinsicht Jennys Ex-Ehemann Craig. Er hat seine Frau nicht nur betrogen und brutal miss­handelt, sondern auch mit einer anderen Frau eine Tochter gezeugt und sogar Mel, die beste Freundin seiner ehelichen Tochter Hannah, geschwän­gert. Da Jenny das Ekel schließ­lich ange­zeigt hat, sitzt er jetzt in Haft. Dort schmiedet er Rache­pläne und wartet auf seine Beru­fungs­verhand­lung, in der er Unzu­rech­nungs­fähig­keit geltend machen will.

Bei Jenny hat all das Traumata hinter­lassen, die sie bewogen haben, ihren Job als Journa­listin ruhen zu lassen und nolens volens wieder ins Haus der Familie einzu­ziehen. Hier will sie Würde und Sicher­heit wieder­erlangen und aus ihrem Leben verbannen, was an Horror hinter ihr liegt.

So jung sie ist, hat auch Hannah schon Entsetz­liches durch­leben müssen, nicht nur innerhalb ihrer Familie. Wie kann eine so junge Frau es verar­beiten, dass ihre beste Freundin miss­braucht und später brutal ermordet wird? Indy und Dorothy haben ihr zu einer Therapie geraten, doch ist sie überzeugt, dass ältere Erwach­sene sie schon aus Prinzip niemals verstehen können.

Dorothy erscheint mit ihren sieben Jahr­zehnten als die gesetz­teste der drei Frauen. Fünf­und­vierzig Jahre Berufs­erfah­rung in der Bestat­tungs­branche geben ihr Sicher­heit, Sinn und Lebens­freude. Aber auch sie hat schwere Schläge hinnehmen müssen, gerade nach Jims Tod, als sie allerlei Rätsel­haftes und Verlet­zendes erfahren und aufklären musste. Dabei ist sie eine warm­herzige, aufge­schlos­sene Frau, die nicht anders kann als sich jeder verlore­nen Seele anzu­nehmen, ob das ein zugelau­fener Kater oder eine heimat­lose junge Frau ist wie Indy, die dunkel­häutige Hindu, die nach dem Tod ihrer Eltern ins Haus der Skelfs einge­zogen ist, beim Vorbe­reiten der Bestat­tungen hilft und ein zärt­liches Verhält­nis zu Hannah ent­wickelt hat.

Wenn Dorothy das Bedürfnis abzu­tauchen hat, spielt sie Schlag­zeug. Wer sich dafür interes­siert, kann auch bei ihr Unter­richt bekommen, so wie die vier­zehn­jährige Abi. Als das Mädchen eines Tages nicht zum verein­barten Termin erscheint, muss sie die Suche nach ihr selbst­ver­ständ­lich selbst in die Hand nehmen. Hilf­reiche Insider­tipps für ihre detek­tivi­schen Aufgaben darf sie sich immer von Thomas Olsson, einem schwarzen Poli­zisten schwedi­scher Herkunft, erhoffen, der ihr, obwohl wesent­lich jünger, ein guter Freund und Vertrau­ter in allen Lebens­lagen ist.

Die vielfach verästelte Handlung dieses Romans, in der Humor, Horror, Skurri­lität, Spannung, Psycho­logie und Exkurse in die Physik nahe bei­einan­der liegen, wird aus regel­mäßig wech­selnden Perspek­tiven der drei Frauen erzählt, und Dorothy macht mit einer slapstick-reifen Be­gräbnis­szene den Anfang. Susan Blackie, Ehefrau und Mutter zweier Söhne, soll würdevoll ins Grab gesenkt werden, als plötzlich Polizei­sirenen die Luft­hoheit erobern, ein alter weißer Nissan quer durch den Friedhof rast, um Grab­steine herum schlin­gert und schließ­lich just in Susans Grab stecken bleibt. Der Amok­fahrer, ein junger Mann von verlot­tertem Erschei­nungs­bild und ohne Papiere, hat die Fahrt nicht überlebt, wohl aber sein Begleiter, ein Border Collie, der, wie zu erwarten, bei den Skerfs ein neues Zuhause finden wird.

Danach geht es in Jennys und Hannahs Erzähl­parts Schlag auf Schlag weiter. Die umfang­reichen Arbeiten des Beerdi­gungs­instituts, die viel Einfühl­samkeit erfordern, nehmen einen Teil der Erzählung ein, aber aufre­gender ist natürlich, was in der Familien­detektei abgeht und wie die Frauen mit ihrer gefähr­lichen Bedrohung durch Craig fertig­werden. Der würde nicht einmal vor Mord zurück­schrecken.

Man spürt dem Geheimnis des unbe­kannten Fried­hofs­rasers nach, Dorothy sorgt sich um Abi, die gänzlich von der Bild­fläche verschwun­den ist, und Hannah, die Physik studiert, begeis­tert sich für Hugh Fowler, ihren Professor, und seine Vorle­sungen zur Quanten­physik, insbe­sondere zum Ge­danken­experi­ment »Schrö­dingers Katze«. (Der Autor ist selber Atom­physiker und bringt hier und da seine haupt­berufli­chen Kompe­tenzen ein.) Ausge­rechnet Hannah muss ihren Lieb­lings­lehrer leblos auf seinem Schreib­tisch nieder­gesunken vorfinden.

Dieser Roman hat eine derartige Fülle an Stoff, Hand­lungs­strän­gen und Einfällen zu bieten, dass es gewiss auch in den avisier­ten Folge­bänden nicht lang­weilig werden wird. Die origi­nelle Kombi­nation von Bestat­tungs­insti­tut und Detektei sorgt in beiden Ressorts für unge­wöhn­liche Details zwischen Witz und Verbre­chen, und Edin­burgh mit seinem altehr­würdigen Zentrum und auch seinen Groß­stadt­proble­men ist ein attrak­tiver Schau­platz. Da scheinen dem Autor komische, makabre und skurrile Situa­tionen förmlich vor die Füße zu kullern.

Andererseits stellt sich beim Lesen dieses Ideen-Feuer­werks Über­sätti­gung ein, insbe­sondere wenn die kleine Welt der Skelfs bis in die letzten Winkel mit Abson­derlich­keiten vollge­stopft ist. Als ob Melanie mit Craig, dem Vater ihrer Freundin, nicht schon genug Probleme an der Backe hätte, lässt sie sich auf eine weitere heiße Affäre ein, die keine Aussicht auf ein glück­liches Ende ver­spricht. Oder nehmen wir Archie. Es genügt nicht, dass er im Bestat­tungs­insti­tut zuver­lässig arbeitet, nein, er leidet auch unter dem Cotard-Syndrom, hat zehn Jahre zuvor einen Arbeits­kollegen ermordet, dieser wiederum hatte sich an einer toten Frau vergangen und so weiter und so fort. Bitte nehmen Sie mir das bisschen Spoilern nicht übel – es bleiben noch genug Über­raschun­gen im Buch übrig, die mit Miss­brauch, Untreue und Perver­sionen zu tun haben.

Man hat das literarische Rezept, mit dem Doug Johnstone hier gute Erfolge ver­zeichnet, »Tartan Noir« getauft. Als sein Erfinder gilt William McIl­vanney [› 2 Rezensionen], Val McDermid [› Rezension] und Ian Rankin sind weitere bekannte Vertreter des Genres. Wer Doug Johnstones Mixtur mag und ihrer nicht so leicht über­drüssig wird, darf sich auf insgesamt fünf Teile freuen:

• »A Dark Matter« (2020), dt. »Eingeäschert« (2022, Übersetzung von Jürgen Bürger)
• »The Big Chill« (2021), dt. »Eingefroren« (2023, Übersetzung von Jürgen Bürger)
• »The Great Silence« (2022)
• »Black Hearts« (2023)
• »The Opposite of Lonely« (2024)


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