Das Böse ist immer und überall
Rundherum pechschwarz wie der Tod, so sticht uns Don Winslows Roman »Kings of Cool« in der Buchhandlung ins Auge – und schreckt uns zugleich ab. Welche Finsternis mag hinter dieser cool inszenierten Fassade residieren, von der uns riesige Lettern in leuchtendem Weiß entgegenstrahlen?
Die erste Textseite enthält nach der Kapitelnummer »1« nur einen Satz: »Leck mich am Arsch.«
Ohne gleich die Frage aufzuwerfen, wer da wen auffordert (doch nicht etwa der Autor den Leser??) und warum, verstehen wir schon: Hier wird etwas zelebriert. Und in diesem Modus wird es weitergehen, formal wie inhaltlich. 340 Seiten mit 305 Kapiteln, davon nicht nur das erste und das letzte bloß einen Satz lang; aber was heißt schon ›Satz‹? Da gibt es Aufzählungen ohne Punkt und Komma, Minimalkonstruktionen ohne jegliche Deko, Zeilenumbrüche mitten im Satz (was an Lyrik denken lässt), Verschachtelungen, pointilistische Impressionsteppiche, eingeschobene Passagen mit Drehbuchcharakter, lapidare Dialoge, Kaleidoskope und Mosaike … Die artistische Form transportiert eine Handlung, die mit viel Esprit, aber auch allerhand Nonsense (»Gott ist Gott, Darwin ist Darwin.«), Klamauk (»Surfer und Dope passen zusammen wie … Surfer und Dope.«) und primitivem bzw. ordinärem Vokabular gewürzt ist.
So ein amüsant-befremdliches Opus wie »The Kings of Cool« wird nicht nur im heimatlichen englischen Sprachraum gern akzeptiert und konsumiert, sondern auch in der von Conny Lösch tongerecht übersetzten deutschen Ausführung. Vielleicht stellt man hierzulande häufiger die besorgte Frage, ob dahinter ein tieferer Sinn steckt oder ob Don Winslow ›bloß‹ ein Luftikus, ein Sprachjongleur ist. Zweifellos macht er sich auf witzige Weise über die amerikanische Mentalität der jüngsten Jahrzehnte, das nostalgisch verklärte Image der Hippies, die Großmacht-Politik lustig, was zum Beispiel in Stichwortkaskaden zu Ereignissen, Filmtiteln, VIPs, Kulturgütern, Anspielungen, Zitaten oder in abstrusen Exkursen über weltpolitische und ideologische Zusammenhänge rund um 9/11, den Irakkrieg, die Bush-Familie sowie Politiker und Drogen kondensiert. Egal – bei diesem aparten, grotesken, coolen Thriller werden sich die Geister scheiden. Ich fand ihn schlichtweg gute Unterhaltung.
Worum geht es? Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen, deren Handlungsstränge sich aufeinander zu bewegen. Was in der Gegenwart (2005) geschieht, ist aufs Engste mit der Vergangenheit der Sechziger bis Achtziger Jahre verknüpft. Der Schauplatz ist durchweg Laguna Beach im Golden State Kalifornien. Da lebt man vielfach ohne Zwänge und Verpflichtungen frei nach dem Blumenkinder-Motto Love and Peace, und drugs gibt’s überall und immer. (Das setting: Wahrheit oder Ironie? Realismus oder gehätscheltes Vorurteil?)
1967: John McAlister ist 14 und »ein typischer Grem – T-Shirt und Boardshorts, mexikanische Sandalen, Muschelkette«. Mit seinem Skateboard rollt er die Ocean Avenue entlang. Im Taco Bell klaut er regelmäßig, was die Leute so auf dem Tisch übriglassen. So schlägt er sich durch den Tag. Seine Eltern sind mit sich selbst und ihren Problemen beschäftigt, da ist er einfach abgehauen und lebt jetzt in einer Hippiekommune.
Eines Tages hat sich vorm Taco eine Gruppe Obdachloser versammelt. Ein Kauz, »die südkalifornische Surferversion eines Meeresgottes«, verteilt Tacos mit scharfer Soße im Plastikschälchen an alle. Er nennt sich »Doc«, verrät aber weder seinen richtigen Namen noch dass er vorbestraft ist. Später entpuppt sich dieser Jesus-Typ als der Drogen-Teufel schlechthin. Zuerst vertickert er alles, was high macht, dann macht er Karriere als Drogenboss. Er beherrscht die gesamte Szene, zieht die verborgenen Drähte, versteht sich bestens mit mexikanischen Kartellen, kauft Polizei und Justiz und spannt alle geschickt für sich und gegen die anderen ein.
Um den kleinen Vagabunden John kümmert sich Doc rührend, wenn auch nicht aus Caritas. Gegen ein kleines Taschengeld übernimmt »Docs Baby« unauffällige Botendienste. Auf seinem Skateboard, den Rucksack voller Banknoten, schliddert er diverse Geldinstitute in Laguna an, wo die Kassierer die Kleinscheinhaufen gegen Hunderter-Bündel mit ordentlichen Banderolen eintauschen und sich schon auf Docs Aufmerksamkeiten zu Weihnachten freuen.
Johns Leben ist schön. »Aber es könnte noch besser sein.« Der Junge hat kapiert, womit der Doc die Dollarscheine einsammelt, und startet bald sein eigenes Konkurrenzunternehmen. Schon 1971 ist aus dem Tacodieb ein erfolgreicher junger Geschäftsmann geworden, während sich das Land um ihn herum so vielfältig-chaotisch gebärdet, dass man an »McMurphy in Einer flog über das Kuckucksnest« erinnert wird. John McAlister landet, dazu nicht unpassend, für ein paar Jahre im Knast …
2005 – andere Zeiten, andere Kriege, andere Menschen. Ben, Chon und Ophelia (»O«), neunzehn bis dreiundzwanzig Jahre alt, sind unzertrennlich. Man hat zwei Familien – »eine, in die man geboren wird, und die andere, die man sich aussucht« –, und die drei sind eine solche Wahlfamilie. Jeder steht für den anderen gerade, würde sogar sein Leben riskieren. Außerdem betreiben sie seit drei Jahren gemeinsam Handel mit Drogen (womit sonst?). Chon hat nützliche Samen vom Afghanistan-Einsatz als Navy Seal mitgebracht. Jetzt suchen sie Gartenhäuser, um Hydrokulturen anzulegen, und natürlich brauchen sie Kapital.
Beim Zeitunglesen in einem Grill wird Ben von einem »alten Sack« angelabert. Trotz dessen T-Shirt-Botschaft (»Old Guys Rule«) ahnt Ben nicht, mit wem er es zu tun hat. Was weiß der schon von ihrem selbst angebauten Shit? Und was sollen überhaupt die ominösen Andeutungen? Der Markt ist schließlich frei. Doch der Alte wird deutlich: »Ihr Wichser haltet euch für die Kings of Cool? … ihr wisst einen Scheiß.«
Und so beginnt sich über den drei jungen Leuten fieses Unheil zusammenzubrauen. Die alten und die neuen Zeiten verbünden sich, bis Polizeisirenen und Helikopterschnattern im finalen Showdown für eine klare Kante sorgen.
Aber Chon ahnt es schon: Die Geschichte ist damit keineswegs abgeschlossen. Nicht nur, dass die Zeiten und der Markt reif sind für moderne Leute wie ihn und seine Kumpels. Die Bande zu den Vorvätern greifen wesentlich tiefer. Die Vergangenheit »ist immer bei uns … in unserer Blutbahn.« Die Kontinuität der Märkte, Macher und Methoden ist gesichert. Nur sind es jetzt die drei Freunde, zu denen man bewundernd sagt: »Ihr habt alles. Ihr seid jung, habt Geld, coole Klamotten, schöne Mädchen. Alles. Ihr seid Könige.«
Wie die Fäden im Detail verlaufen, lässt sich in dem rasanten, unkonventionellen, turbulenten Erzählstil nicht immer leicht verfolgen, aber gelegentliches Rätseln tut dem Lesevergnügen ebenso wenig Abbruch wie der Mut zur Lücke.