Der Mönch von Mokka
von Dave Eggers
Ein Amerikanischer Traum aus dem Bilderbuch: Junger Einwanderer aus dem Jemen entwickelt unternehmerische Initiative und baut einen florierenden, noch dazu fairen Kaffeehandel auf.
Kaffee statt Krieg
Die Kultur des Kaffees ist so komplex wie die des Weines. Das unscheinbare immergrüne Strauchgewächs stammt aus Äthiopien und dem Jemen. Seine Samen üben, geröstet und mit Wasser aufgekocht, eine belebende Wirkung auf den Menschen aus. Araber und Türken haben den Strauch und sein Geheimnis verbreitet, so dass das Getränk heute weltweit konsumiert und die Pflanze überall in den Tropen und den Subtropen kultiviert wird. 2017 kamen zwei Drittel der globalen Kaffeeproduktion aus den Hauptanbauländern Brasilien, Vietnam, Kolumbien, Indonesien und Honduras. Darüber geriet der Jemen als Ursprungsland in Vergessenheit.
Weltweit werden heute mehr als 100 Pflanzensorten angebaut. Deren Biologie und die geologischen und klimatischen Rahmenbedingungen definieren die Grundausrichtung des späteren Produkts, die aufwändigen Veredlungs- und Röstverfahren sorgen für unendliche Geschmacks- und Qualitätsvariationen. Verschiedene Kulturkreise haben ihre eigenen Zubereitungstraditionen entwickelt. Eine maßgebliche Bedeutung hat in Zeiten der Globalisierung die Vermarktung gewonnen. Internationale Ketten spezialisierter Lokale preisen das Kaffeetrinken im Stehen oder Sitzen oder Laufen als tolles Erlebnis, und mit der Markteinführung kinderleicht zu bedienender Maschinen mit teuren Miniportiönchen in stylischer Verpackung haben ein paar Konzerne das Getränk zu Kult-Marken geadelt und riesige Gewinne eingestrichen. Die Menschen, die die Pflanze anbauen und die Früchte ernten, haben von dem finanziellen Erfolg kaum etwas abbekommen.
Aus dem Jemen, wo seine Familie Ansehen genoss, ist Mokhtar Alkanshali als Kind mit seinen Eltern in die USA emigriert. Sie leben bescheiden in einem Armenviertel von San Francisco, zusammen mit vielen anderen Einwanderern aus unterschiedlichsten Kulturen. Seine Schulausbildung nimmt Mokhtar nicht sonderlich ernst. Die Appelle seiner Lehrer, seine Zeit nicht zu vergeuden, seine Talente zu nutzen, bleiben ungehört. Er schafft den Highschool-Abschluss, jobbt ein paar Jahre ohne System, beginnt ein Jurastudium, verliert die Lust daran, bricht es wieder ab, wird Portier in einer Luxuswohnanlage.
Eine SMS von seiner Freundin Miriam zündet bei Mokhtar (inzwischen 25 und amerikanischer Staatsbürger) einen Funken. Sie weist ihn auf die riesige Statue eines Kaffee schlürfenden Jemeniten in traditioneller Kleidung hin, die sie vor dem Gebäude einer Kaffeeimportfirma entdeckt hat. Jemen – Kaffee! Mokhtar erforscht nun zielstrebig die Geschichte des jemenitischen Kaffees (in der sogar seine Familie eine Rolle spielte), recherchiert im Internet, liest Bücher und zieht seine persönlichen Konsequenzen aus den Erkenntnissen. Der Jemen soll wieder stärker in den Fokus des Handels rücken. Dort soll der beste Kaffee der Welt entstehen. Und die Bauern dort sollen für ihre Arbeit angemessen entlohnt werden.
Jetzt kennt Mokhtar seinen Weg und verfolgt ihn konsequent. Er bewirbt sich bei dem Kaffeeröster Blue Bottle Coffee, erlernt dort das kleine und das große Einmaleins der komplizierten Kaffeeherstellung, macht Verkostungskurse und qualifiziert sich zum »Q-Grader«, der Kaffee nach Geschmack, Aroma und Qualität beurteilen und einkaufen kann. Er ist damit sozusagen ein anerkannter Sommelier des Kaffees.
Der nächste Schritt in Mokhtars Plan ist, zurück in den Jemen zu reisen und die dortigen Bauern zu motivieren, statt Khat-Blättern Kaffee anzubauen. Dafür braucht er Investoren. Doch wer will sein Geld in ein Land stecken, wo Stammeskonflikte, eine korrupte Regierung, Rebellen, Al-Qaida und Piraten jede Ordnung untergraben? Die USA sprechen Reisewarnungen aus und evakuieren ihre letzten Bürger aus dem Kriegsgebiet.
Mokhtar hält trotz all dem an seinem hochgesteckten Ziel fest: im Jemen eine wirtschaftlich rentable, nachhaltige, sozial verträgliche und zukunftsfähige Kaffeewirtschaft aufzubauen, die hohe ethische Standards beachtet und Qualität vor Quantität setzt. Er reist hin – und schafft das Unmögliche: eine Ernte erstklassiger Kaffeebohnen aus zwei Anbaugebieten, die 2016 zur Weiterverarbeitung nach Amerika verschifft wird. Im Juni 2016 werden die ersten Kaffees der Sorte »Port of Mokha« zum stolzen Preis von 16 Dollar pro Tasse in allen Blue-Bottle-Cafes der Vereinigten Staaten angeboten. Heute betreibt Mokhtar Alkhanshali seine eigene Firma, »Port of Mokha«, deren Kaffeeprodukte zu den besten der Welt zählen. An ihrem Erfolg partizipieren alle Mitwirkenden.
Der erfolgreiche US-Autor Dave Eggers erzählt in seinem Buch »The Monk of Mokha« (von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann ins Deutsche übersetzt) die Geschichte des jungen jemenitischen Migranten, der die seit vielen Generationen vernachlässigten Traditionen des Kaffeeanbaus in seiner Heimat erfolgreich wiederbelebt und dem vom Krieg geschüttelten Land und seinen Bewohnern den Weg in eine bessere Zukunft eröffnet hat. Es ist ein unterhaltsames, realitätsnahes, dokumentarisches Buch, das viele Facetten enthält: eine Flüchtlingsbiografie, erschütternde Reportagen aus einem afrikanischen Krisengebiet, spannende Wirtschaftsabenteuer, historische Abrisse über die Kultur des Kaffees seit dem Mittelalter.
Als ein Derwisch, Mitglied einer islamischen Sufi-Gemeinschaft, damals Äthiopien bereiste, hörte er von einem Bauern, dass dessen Ziegen immer ganz aus dem Häuschen waren, nachdem sie die Früchte eines bestimmten Strauches gefressen hatten. Der fromme Mann nahm die Pflanze mit in seine jemenitische Heimat, stellte damit ein Gebräu her, bot es während der traditionellen Zeremonien seinen Glaubensbrüdern an und stellte fest, dass es sie in Ekstase versetzte. Damit wurde dieser Prediger (»Der Mönch von Mokka«) zum Urvater des jemenitischen Kaffees. Während sich die Jemeniten mit der Zeit lieber der Droge Khat zuwenden, verbreitet sich die Kaffeepflanze weltweit. Kaffeeproduktion und -handel entwickeln sich zu einer ausgeklügelten Industrie und zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor. Im Zuge des Kolonialismus sichern sich europäische Mächte die entsprechenden Monopole.
Den Schwerpunkt legt der Autor auf die persönlichen Erlebnisse und Beobachtungen des mutigen, optimistischen Jungunternehmers Mokhtar Alkanshali, den er zwischen 2012 und 2015 wiederholt getroffen und mit dem er Plantagen in Amerika und Afrika bereist hat. Der umtriebige Wohltäter seines Heimatlandes ist freilich ein Spätzünder. Um den pubertierenden Dreizehnjährigen, begabt, aber wenig motiviert, auf Vordermann zu bringen, schicken ihn die Eltern für ein Jahr in die Heimat zum Großvater, einem angesehenen Patriarchen, dem niemand zu widersprechen wagt. Er lehrt seinen Enkel Benimm, Würde, Respekt vor Traditionen, und er gibt ihm Lebensweisheiten mit auf den Weg wie »Behalte das Geld in der Hand, niemals im Herzen«.
Das grausige Geschehen im Jemen spart der Autor nicht aus, weder die Aktivitäten des jemenitischen Al-Qaida-Ablegers, der den Anschlag auf die Pariser Redaktion von »Charlie Hebdo« (2015) zu verantworten hatte, noch die Angriffe der Saudis mit aus den USA bezogenen Waffen. Mit dem Ich-Erzähler erleben wir den Kriegsalltag aus nächster Nähe: waffenstarrende Checkpoints überall, Explosionen in der Nachbarschaft, selbst Kinder fackeln mit Sturmgewehren, jedes Leben ist bedroht. Mokhtar Alkanshali reist mit bewaffneten Bodyguards in gepanzerten SUVs durchs Land. Als er verhaftet wird, scheint sein amerikanischer Traum ausgeträumt, aber er verliert nicht einmal in den gefährlichsten Situationen die Hoffnung, hält sich mit Galgenhumor über Wasser.
Als Dave Eggers’ Buch im Januar 2018 erscheint, hat Donald Trump gerade sein erstes Jahr als Präsident vertwittert. Eine seiner ersten Amtshandlungen war, ein pauschales Einreiseverbot für Menschen aus einer Reihe überwiegend muslimischer Staaten – darunter der Jemen – zu verhängen, »bis wir genau wissen, was los ist«. ›So einer‹ wie Mokhtar Alkanshali kommt heutzutage also gar nicht erst ins Land.