Rezension zu »Der Mönch von Mokka« von Dave Eggers

Der Mönch von Mokka

von


Ein Amerikanischer Traum aus dem Bilderbuch: Junger Einwanderer aus dem Jemen entwickelt unternehmerische Initiative und baut einen florierenden, noch dazu fairen Kaffeehandel auf.
Belletristik · Kiepenheuer & Witsch · · 384 S. · ISBN 9783462048780
Sprache: de · Herkunft: us

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Kaffee statt Krieg

Rezension vom 05.04.2019 · 3 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Die Kultur des Kaffees ist so komplex wie die des Weines. Das unschein­bare immer­grüne Strauch­gewächs stammt aus Äthio­pien und dem Jemen. Seine Samen üben, geröstet und mit Wasser aufge­kocht, eine belebende Wirkung auf den Menschen aus. Araber und Türken haben den Strauch und sein Geheim­nis verbreitet, so dass das Getränk heute weltweit konsumiert und die Pflanze überall in den Tropen und den Sub­tropen kultiviert wird. 2017 kamen zwei Drittel der globalen Kaffee­produk­tion aus den Haupt­anbau­ländern Brasilien, Vietnam, Kolum­bien, Indone­sien und Honduras. Darüber geriet der Jemen als Ursprungs­land in Ver­gessen­heit.

Weltweit werden heute mehr als 100 Pflanzensorten angebaut. Deren Biologie und die geologi­schen und klimati­schen Rahmen­bedin­gungen definieren die Grund­ausrich­tung des späteren Produkts, die auf­wändi­gen Vered­lungs- und Röst­verfah­ren sorgen für unend­liche Geschmacks- und Qualitäts­varia­tionen. Verschie­dene Kultur­kreise haben ihre eigenen Zube­reitungs­traditio­nen entwickelt. Eine maßgeb­liche Bedeu­tung hat in Zeiten der Glo­balisie­rung die Vermark­tung gewonnen. Inter­natio­nale Ketten speziali­sierter Lokale preisen das Kaffee­trinken im Stehen oder Sitzen oder Laufen als tolles Erlebnis, und mit der Markt­einfüh­rung kinder­leicht zu bedie­nender Maschinen mit teuren Mini­portiön­chen in styli­scher Verpa­ckung haben ein paar Konzerne das Getränk zu Kult-Marken geadelt und riesige Gewinne einge­strichen. Die Menschen, die die Pflanze anbauen und die Früchte ernten, haben von dem finan­ziellen Erfolg kaum etwas abbe­kommen.

Aus dem Jemen, wo seine Familie Ansehen genoss, ist Mokhtar Alkan­shali als Kind mit seinen Eltern in die USA emigriert. Sie leben bescheiden in einem Armen­viertel von San Francisco, zusam­men mit vielen anderen Einwan­derern aus unter­schied­lichs­ten Kulturen. Seine Schul­ausbil­dung nimmt Mokhtar nicht sonder­lich ernst. Die Appelle seiner Lehrer, seine Zeit nicht zu vergeuden, seine Talente zu nutzen, bleiben ungehört. Er schafft den High­school-Abschluss, jobbt ein paar Jahre ohne System, beginnt ein Jura­studium, verliert die Lust daran, bricht es wieder ab, wird Portier in einer Luxus­wohn­anlage.

Eine SMS von seiner Freundin Miriam zündet bei Mokhtar (inzwischen 25 und ame­rikani­scher Staats­bürger) einen Funken. Sie weist ihn auf die riesige Statue eines Kaffee schlür­fenden Jeme­niten in traditio­neller Kleidung hin, die sie vor dem Gebäude einer Kaffee­import­firma entdeckt hat. Jemen – Kaffee! Mokhtar erforscht nun ziel­strebig die Geschichte des jeme­niti­schen Kaffees (in der sogar seine Familie eine Rolle spielte), recher­chiert im Internet, liest Bücher und zieht seine persön­lichen Kon­sequen­zen aus den Erkennt­nissen. Der Jemen soll wieder stärker in den Fokus des Handels rücken. Dort soll der beste Kaffee der Welt entstehen. Und die Bauern dort sollen für ihre Arbeit ange­messen entlohnt werden.

Jetzt kennt Mokhtar seinen Weg und verfolgt ihn konsequent. Er bewirbt sich bei dem Kaffee­röster Blue Bottle Coffee, erlernt dort das kleine und das große Einmal­eins der kompli­zierten Kaffee­herstel­lung, macht Verkos­tungs­kurse und qualifi­ziert sich zum »Q-Grader«, der Kaffee nach Geschmack, Aroma und Qualität beurteilen und einkaufen kann. Er ist damit sozu­sagen ein aner­kannter Somme­lier des Kaffees.

Der nächste Schritt in Mokhtars Plan ist, zurück in den Jemen zu reisen und die dortigen Bauern zu moti­vieren, statt Khat-Blättern Kaffee anzubauen. Dafür braucht er Investoren. Doch wer will sein Geld in ein Land stecken, wo Stammes­konflikte, eine korrupte Regierung, Rebellen, Al-Qaida und Piraten jede Ordnung untergraben? Die USA sprechen Reise­warnun­gen aus und evakuieren ihre letzten Bürger aus dem Kriegs­gebiet.

Mokhtar hält trotz all dem an seinem hochgesteckten Ziel fest: im Jemen eine wirt­schaft­lich rentable, nachhaltige, sozial verträg­liche und zukunfts­fähige Kaffee­wirt­schaft aufzubauen, die hohe ethische Standards beachtet und Qualität vor Quantität setzt. Er reist hin – und schafft das Unmögliche: eine Ernte erst­klas­siger Kaffee­bohnen aus zwei Anbau­gebie­ten, die 2016 zur Weiter­verarbei­tung nach Amerika verschifft wird. Im Juni 2016 werden die ersten Kaffees der Sorte »Port of Mokha« zum stolzen Preis von 16 Dollar pro Tasse in allen Blue-Bottle-Cafes der Verei­nigten Staaten angeboten. Heute betreibt Mokhtar Alkhanshali seine eigene Firma, »Port of Mokha«, deren Kaffee­pro­dukte zu den besten der Welt zählen. An ihrem Erfolg partizi­pieren alle Mit­wirken­den.

Der erfolgreiche US-Autor Dave Eggers erzählt in seinem Buch »The Monk of Mokha« Dave Eggers: »The Monk of Mokha« bei Amazon (von Ulrike Wasel und Klaus Timmer­mann ins Deutsche über­setzt) die Geschichte des jungen jemeni­tischen Migranten, der die seit vielen Genera­tionen vernach­lässig­ten Traditionen des Kaffee­anbaus in seiner Heimat erfolg­reich wieder­belebt und dem vom Krieg geschüt­telten Land und seinen Bewohnern den Weg in eine bessere Zukunft eröffnet hat. Es ist ein unterhalt­sames, realitäts­nahes, doku­mentari­sches Buch, das viele Facetten enthält: eine Flücht­lingsbio­grafie, erschüt­ternde Reportagen aus einem afrikani­schen Krisen­gebiet, spannende Wirt­schafts­aben­teuer, histori­sche Abrisse über die Kultur des Kaffees seit dem Mittelalter.

Als ein Derwisch, Mitglied einer islamischen Sufi-Gemein­schaft, damals Äthiopien bereiste, hörte er von einem Bauern, dass dessen Ziegen immer ganz aus dem Häuschen waren, nachdem sie die Früchte eines bestimmten Strauches gefressen hatten. Der fromme Mann nahm die Pflanze mit in seine jemeni­tische Heimat, stellte damit ein Gebräu her, bot es während der traditio­nellen Zeremo­nien seinen Glaubens­brüdern an und stellte fest, dass es sie in Ekstase versetzte. Damit wurde dieser Prediger (»Der Mönch von Mokka«) zum Urvater des jemeni­tischen Kaffees. Während sich die Jeme­niten mit der Zeit lieber der Droge Khat zuwenden, verbreitet sich die Kaffee­pflanze weltweit. Kaffee­produk­tion und -handel entwickeln sich zu einer aus­geklügel­ten Industrie und zu einem bedeu­tenden Wirt­schafts­faktor. Im Zuge des Kolonia­lismus sichern sich europä­ische Mächte die ent­sprechen­den Monopole.

Den Schwerpunkt legt der Autor auf die persönlichen Erlebnisse und Beob­achtun­gen des mutigen, optimis­tischen Jung­unter­nehmers Mokhtar Alkan­shali, den er zwischen 2012 und 2015 wieder­holt getroffen und mit dem er Plantagen in Amerika und Afrika bereist hat. Der umtrie­bige Wohl­täter seines Heimat­landes ist freilich ein Spät­zünder. Um den puber­tieren­den Drei­zehn­jährigen, begabt, aber wenig motiviert, auf Vorder­mann zu bringen, schicken ihn die Eltern für ein Jahr in die Heimat zum Groß­vater, einem angese­henen Patriar­chen, dem niemand zu wider­sprechen wagt. Er lehrt seinen Enkel Benimm, Würde, Respekt vor Traditio­nen, und er gibt ihm Lebens­weis­heiten mit auf den Weg wie »Behalte das Geld in der Hand, niemals im Herzen«.

Das grausige Geschehen im Jemen spart der Autor nicht aus, weder die Aktivi­täten des jemeni­tischen Al-Qaida-Ablegers, der den Anschlag auf die Pariser Redaktion von »Charlie Hebdo« (2015) zu verant­worten hatte, noch die Angriffe der Saudis mit aus den USA bezogenen Waffen. Mit dem Ich-Erzähler erleben wir den Kriegs­alltag aus nächster Nähe: waffen­star­rende Checkpoints überall, Explo­sionen in der Nach­bar­schaft, selbst Kinder fackeln mit Sturm­geweh­ren, jedes Leben ist bedroht. Mokhtar Alkan­shali reist mit bewaff­neten Body­guards in gepan­zerten SUVs durchs Land. Als er verhaftet wird, scheint sein ame­rikani­scher Traum ausge­träumt, aber er verliert nicht einmal in den gefähr­lichs­ten Situatio­nen die Hoffnung, hält sich mit Galgen­humor über Wasser.

Als Dave Eggers’ Buch im Januar 2018 erscheint, hat Donald Trump gerade sein erstes Jahr als Präsident vertwittert. Eine seiner ersten Amts­hand­lungen war, ein pauschales Einreise­verbot für Menschen aus einer Reihe über­wiegend muslimi­scher Staaten – darunter der Jemen – zu verhängen, »bis wir genau wissen, was los ist«. ›So einer‹ wie Mokhtar Alkan­shali kommt heutzu­tage also gar nicht erst ins Land.


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