Der Agent, der keine Ruhe findet
Von wegen geruhsames Ausspannen im abgeschiedenen Cottage auf Cornwalls Klippen! Schluss mit der trauten Zweisamkeit mit Chiara! Kein hingebungsvolles Restaurieren altmeisterlicher Ölgemälde mehr! Schon wieder requiriert der amerikanische Autor Daniel Silva den Ex-Mossad-Agenten Gabriel Allon für den Kampf gegen die Bösen der Welt aus seinem Incognito-Idyll, wo er sich als »Giovanni Rossi« tarnt.
Dabei hatte sich Allon-Rossi doch schon neulich »endgültig« aus dem Spionagegeschehen verabschiedet – ehe ihn »Die Rembrandt-Affäre« ereilte. Er ist eben in beiden Bereichen – als Kunstrestaurator und als Agent – ein ambitionierter Meister seines Fachs und weder für seinen Autor noch dessen Leser abkömmlich. Und so muss er in Silvas neuestem Roman »Der Hintermann« zum elften Mal ausrücken.
Bombenterror erschüttert Europa: Nur sieben Minuten trennen zwei furchtbare Explosionen voneinander, die zwei islamistische Selbstmordattentäter in Paris und Kopenhagen ausgelöst haben. Mitten in den Menschenmengen rissen die Terroristen unschuldige Opfer mit sich in den Tod. Entsetzen in der Bevölkerung, Bestürzung bei den Politikern, die nach den Anschlägen am 11. September 2001 die Terrorismusbekämpfung auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Welche Metropole wird die nächste sein?
Gabriel Allon und seine Frau Chiara schlendern an jenem Tag entspannt durch London. Erst sind sie mit dem Galeristen Julian Isherwood verabredet, der irgendwo ein unbekanntes Tizian-Gemälde aufgestöbert hat und es nun gern dem penibel arbeitenden Restaurator überantworten möchte. Nachdem Allon den Auftrag angenommen hat, flaniert er mit Chiara durch Covent Garden – und spürt, dass irgendetwas nicht stimmt. »Eine Gestalt in einem grauen Wollmantel« macht ihm Angst. Als erfahrener Agent erkennt er Zeichen, die anderen verborgen bleiben: die Übergröße des Mantels, die Schweißtropfen im Gesicht des Mannes bei kühler Herbstluft … kein Zweifel: ein Attentäter, der sich gleich in die Luft sprengen wird! Chiara schickt er in Sicherheit, dann will er den finalen Kopfschuss feuern – und wird von zwei Polizisten niedergerungen, kurz bevor die Bombe hochgeht und achtzehn Menschen tötet. Allon wird verhaftet und vom FBI verhört, bis ihn Stunden später Graham Seymour, stellvertretender Direktor des MI5, aus der misslichen Lage heraushaut.
Wo alle Geheimdienste auf Hochtouren arbeiten, an vorderster Front die CIA, kann Top-Agent Allon schlecht nach Cornwall entschwinden. Erst muss er eine eigene kleine Terrorgruppe aufbauen, die effizient arbeitet und ins monetäre Terrorismusgeschäft einsteigen soll. Damit will man sich an die Drahtzieher heranpirschen, seien es versprengte Reste der al-Qaida oder neue Bin Ladens. Zwar weiß jeder, dass das saudi-arabische Königshaus ein bedeutender Geldgeber ist, doch zuletzt fanden die Geheimdienste Hinweise im Internet, dass die Hamas nicht einmal mehr den Hinterbliebenen ihrer Märtyrer ein Entgelt zahlen könne.
FININT – Financial Intelligence – ist nur einer der vielen Dienste, die die Secret Services in Echtzeit auf der ganzen Welt verfolgen können. Allon soll einen glaubwürdigen Investor finden, der dem salafistischen Führer und Lenker viel Geld bieten kann; dazu muss er sich freilich in die Höhle des Löwen wagen, in die Wüste, die Grenzregion zwischen Saudi-Arabien und dem Jemen …
»Der Hintermann« (»Portrait of a Spy« , übersetzt von Wulf Bergner) ist grundsolide gemacht. Zwar bietet er leider nur wenig thrill, dafür aber jede Menge Spionage. Aus ihren Schaltzentralen beobachten und belauschen die Geheimdienste jeden beliebigen Winkel der Welt mit präparierten Handys, verschluckten Kapseln und übers Internet. Wo auch immer sich ihre Agenten gerade tummeln, können sie sie orten, ihnen den Rückhalt ihrer gewaltigen Ressourcen und damit eine gewisse Sicherheit in ihrem lebensgefährlichen Einsatz bieten. Wenn im Kampf gegen den Terrorismus Aktionen anstehen, wird das Zielobjekt anvisiert und per ferngesteuerter Drohne vernichtet. Dabei gibt sich Daniel Silva bescheiden: »Ich gebe nicht vor, alle technischen Aufklärungsmittel der amerikanischen, israelischen und britischen Geheimdienste zu kennen.« Und natürlich funktioniert seine mechanistische Agentenwelt einigermaßen sauber und reibungslos.
Wie die Arbeit der Geheimdienste wirklich aussieht, welcher Methoden und Techniken sie sich bedienen und welche moralischen, juristischen und politischen Probleme in der Realität auftreten, das bringen Affären wie die um Wikileaks und den des Geheimnisverrats beschuldigten US-Bürger Edward Snowden in die Öffentlichkeit. Aber das sind ganz andere Geschichten …
Nach der Lektüre einiger Teile der »Gabriel-Allon-Reihe« ist man mit diesem elften Band fast familiär vertraut: Man trifft altbekannte, liebgewonnene Figuren wieder. Während den Geheimdienstchefs sonst oft mehr Brutalität, Kaltschnäuzigkeit und Skrupellosigkeit als differenzierte Charaktereigenschaften zugeordnet wurden, erscheinen sie dieses Mal geradezu weichgezeichnet. Auch sie sind halt älter, gesetzter geworden, haben gar ein Privatleben, in das wir ein wenig Einblick nehmen dürfen: Der Israeli Uzi Navot beispielsweise liebt Gebäck, doch da bereits der Duft auf sein Gewicht schlägt, sollte er lieber die Finger davon lassen – findet Ehefrau Bella und macht dank strenger Diätvorschriften sein Zuhause zu einem »Polizeistaat« …
Ob Allon-Rossi sich im nächsten Jahr noch einmal zu einem Einsatz breitschlagen lassen wird? Der elfte hat seine Psyche jedenfalls schwer angeschlagen. Vielleicht sollte ihm sein Autor nun doch endlich den Ruhestand gönnen, damit er sich die würzige englische Seeluft um die Nase wehen lassen kann. Und gewiss warten noch etliche unentdeckte uralte Schätzchen darauf, dass er ihnen mit seiner feinen Pinselzeichnung ganz friedlich neues Leben einhaucht.