Der Pate aus Fernost
Gehen Sie gern beim Japaner essen? Kaufen Sie manchmal im Asia-Shop ein? Dann wappnen Sie sich, wenn Sie diesen Krimi lesen. Womöglich werden Sie das freundliche Lächeln der asiatischen Dienstleister danach mit durchwachsenen Gefühlen genießen. Auch gegenüber Blumenläden, Nagelstudios, kleinen Lädchen mit Nippes und gefakter Markenkleidung, Sportstudios und Änderungsschneidereien lehrt das Buch Misstrauen. Wer weiß, wer weiß – vielleicht steckt Yakuza dahinter.
»Yakuza«, das ist die japanische Version krimineller Organisationen, die wir schon in ihren italienischen, vietnamesischen, russischen und chinesischen Spielarten kennenlernen durften. Das Prinzip ist überall das gleiche: irgendwie in den längst besetzten, hart umkämpften Markt reinboxen, die Konkurrenz vertreiben oder umbringen, kein Geschäftsfeld auslassen, mit dem man schnell fette Kasse machen kann, alle Unternehmungen gut tarnen, illegal eingenommenes Geld in unverfänglichen öffentlichen Geschäften (siehe Beispiele oben) waschen – und vor allem alle Mitarbeiter am engen Zügel führen, damit keiner auf dumme Gedanken kommt und etwa nebenbei auf eigene Rechnung loslegt.
Zimperlich ist keine der nationalen Varianten, doch die Yakuza-Kumi, so will uns der Autor Christoph Peters glauben machen, sind unvorstellbar grausam und noch viel gefährlicher als alles bisher Dagewesene. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ist natürlich die Verankerung in Japans uralter Kultur, zu der Yakuza schon seit einigen Jahrhunderten gehört. Der Einzelne ist nichts, die Weisheiten der großen alten Meister sind alles, Respekt ist geboten, ehe man zur Sache kommt, und man beherrscht allerlei aparte Tötungstechniken. Christoph Peters kennt sich mit alldem aus, denn dies ist nicht das erste Buch, in dem er japanische und deutsche Eigenheiten aufeinanderprallen lässt. Allerdings war noch keines so blutig.
Was da so alles an Chaos abgeht in unserer multikulturellen Hauptstadt entwickelt der Autor in säuberlich geordnetem Wechsel zwischen den beiden Hauptperspektiven. Die fernöstliche repräsentiert der japanische Protagonist Fumio Onishi, ein Yakuza-Mann, der sich als Import-Export-Manager tarnt. (Das ist hübsch ironisch, weil er ja Yakuza nach Berlin exportieren will.) Die einheimische Sicht- und Denkweise vertritt Annegret Bartsch, die 46-jährige Kommissarin, und zwar in ungefilterter Ich-Rede. Doch dazu später. Da Fumio Onishis Recherchen denen der Kommissarin immer einen Schritt voraus sind, erfährt der Leser aus seinen Kapiteln mehr über Hintergründe und Zusammenhänge der Ereignisse, als Annegret schon weiß. Wir dürfen also herablassend den Kopf schütteln oder uns amüsieren, wie die Polizei noch in der ganz kalten Richtung unterwegs ist und bei der xenophoben Neonazi-Szene ermittelt, während Yakuza und all die anderen Mafia-Gruppen sich untereinander fetzen. Das ergibt alles zusammen einen rasanten Krimi.
Die Handlung beginnt bodenständig. Wie jeden Morgen treffen sich ein paar Leute aus den umliegenden Plattenbauten im Zentrum der Erich-Mühsam-Siedlung. Was sie eint, ist die Begeisterung für ihre Hunde. Während die Vierbeiner auf den Wiesen ihre Geschäfte verrichten, plaudern die Zweibeiner über dies und das, am kompetentesten über ihre Tiere. Jedes Frauchen, jedes Herrchen hat einen Spezialbeutel für die körperwarmen Absonderungen ihrer Liebsten dabei. Doch trotz dieses vorbildlichen Verhaltens und der sich darin manifestierenden Rücksichtnahme auf Mitmenschen, die keine Hundefans sind, hat ein Fiesling in der Nähe des Observatoriums vergiftete Bouletten ausgelegt – eine heimtückische Attacke auf Leib und Leben der allzeit nur spielenden Lieblinge.
Dabei ist der Tod noch näher, als die Hundehalter vermuten. An einem Teich mit künstlichem Wasserfall entdecken sie bald einen Toten. Jemand hat ihm mit einer Feuerwaffe das Hirn weggepustet. Im olivfarbenen Achselshirt steckt ein durchtrainierter Körper. Die Muskelpakete an Armen und Schulter schmückt großflächig ein virtuos gestochenes Tattoo: »ein purpurner Krakenarm«. Dass so ein Kunstwerk üblicherweise Mitglieder der Yakuza ziert, wissen freilich nur Experten.
Der mit nur siebenundzwanzig Jahren Verblichene heißt Yuki Ozawa. Daheim in Japan hatte er ein Studium abgebrochen, aber weder Drogen genommen noch Straftaten begangen. Er war also sauber, als er zur Yakuza-Familie stieß. Die ihm zuerst übertragenen kleinen Aufgaben führte er gewissenhaft aus. Was ihn aber besonders auszeichnete, waren seine Deutsch- und Englischkenntnisse. Sie prädestinierten ihn für einen Einsatz im fernen Berlin, wo die vietnamesische Mafia gerade sehr erfolgreich agierte. Yuki sollte sie peu à peu unterwandern.
Fumio Onishi war Yukis direkter Kontaktmann und sein Aniki, wie man im Land der aufgehenden Sonne einen älteren Bruder oder Vorgesetzten respektvoll benennt. Damit war Fumio Onishi persönlich verantwortlich für Yuki. Dass er seinen Schützling nicht besser im Griff hatte, wird ihn in Tokio »womöglich ein Fingerglied kosten«. Als er ihn drei Monate zuvor zuletzt in Berlin besucht hatte, waren ihm Veränderungen in Yukis Lebenswandel aufgefallen. Er hatte eine deutsche Freundin und pflegte einen luxuriösen Stil.
Jetzt ist Fumio Onishi über Amsterdam nach Berlin eingeflogen. Sein Oyabun, der über ihm stehende Patriarch, hat ihn mit einem einfachen Auftrag nach Europa entsandt. Er muss den Mord an Yuki Ozawa rächen.
Wer hat es gewagt, einen Yakuza-Mann zu töten? Fumio Onishi wird das auf seine Weise recherchieren. Brutal und gefühllos lässt die asiatische Kampfmaschine, im Umgang mit dem Schwert ausgebildet, keinen Beteiligten der vietnamesischen Mafia am Leben. In roten Strömen fließt das Blut den Prenzlauer Berg hinab.
Das ruft das 1996 gegründete Berliner »Vietnamdezernat« auf den Plan und bringt Annegret Bartschs Leben gehörig durcheinander. Seit Jahren waren Annegret und die Abteilung mehr oder weniger langweilig vor sich hingedümpelt, ohne bemerkenswerte Fälle, ohne Erfolgserlebnisse. Jetzt aber geht's derart zur Sache, dass es sogar Annegrets Ehemann beunruhigt. Volker, in Annegrets Augen eine »Nulpe«, ist beim Grünflächenamt angestellt. Der Jammerbratzen beklagt sich, er könne sich nicht auf seine Rhododendren konzentrieren, wenn er befürchten muss, dass seine Gattin von irgendeinem Vietnamesen abgeknallt wird.
Und dann ist da noch Lizzy, die achtjährige Tochter und der diametrale Gegenentwurf zu ihrer ruppigen Mutter. Lizzys »Prinzessinnenfimmel« und ihr ständiges Getue um Glitzer und die Lieblingsfarbe Rosa gehen Annegret total auf die Nerven.
So ist Kommissarin Bartsch hin- und hergerissen zwischen ihren Pflichten im Beruf, ihren hausfraulichen Tätigkeiten (ein »natürliches Freizeitvergnügen«) und ihren elterlichen Funktionen, die sie oft nicht besser ausführen kann als in der Rolle einer »extrem übellaunigen Mutter«.
Annegrets atemloses Hetzen und Jagen, immer an den Limits von Energie und Geduld, schlägt sich grandios in der Art und Weise nieder, wie sie erzählt. Ihre Kapitel sind jeweils ein einziger uferloser Satz, in dessen Sturzbach alles aus ihr heraussprudelt, was sie gerade erlebt, gesagt, gehört hat, was sie bewegt, ärgert, plant, erhofft. Zum Strukturieren hat sie weder Lust noch Kraft übrig; das müssen folglich wir beim Lesen erledigen, und das wird zum Ende hin, wenn sich die Novität abgekühlt hat, etwas mühselig. Schade nur, dass Fumio Onishi in stilistischer Hinsicht nicht direkt mit der Kommissarin kontrastieren darf. Sein kalt-räsonierendes Vorgehen wird ein wenig distanziert in der 3. Person erzählt.
Wie nahe mag Christoph Peters' Fiktion unserer Realität kommen? Der Autor lässt nebenbei allerhand Informationen einfließen, wie die asiatische Mafia mit unentwirrbaren Firmengeflechten Geldwäsche, Menschenhandel, Drogengeschäfte und was das Ganovenherz sonst noch erfreuen mag, erfolgreich zu verschleiern trachtet. Nicht nur mitten in Berlin blüht eine Schattenwirtschaft, die volkswirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe verursacht. Das lässt uns Leser, nachdem wir über dreihundertfünfzig Seiten apart, spannend und stilistisch ungewohnt unterhalten wurden, nicht unberührt zurück.