Kampf gegen die pornographische Hydra im Internet
Eine Bemerkung vorweg: Ich kenne keinen Autor, der wie Arne Dahl in seinen Krimis so viele Polizisten und Spezialteams zur Aufklärung seiner Fälle einsetzt. Es soll sogar vorkommen, dass sie aus Langeweile Büroklammern der Farbe nach sortieren. Schweden wäre ein sicheres Land, wenn diese Fiktion auf Tatsachen beruhte ... In unseren Zeitungen liest man dagegen immer nur von extremer Personalknappheit ...
Nun aber zum Roman. In einer Kontaktanzeige einer Zeitung bietet ein Bauer im Angermanland seinen Hof zur Anmietung an. Die Eltern einer siebten Klasse überzeugen die Klassenlehrerin und einen männlichen Begleiter mit ihren Schülern und Schülerinnen, dort ihre gemeinsame Klassenfahrt zu verbringen. Als die 14-jährige Emily Flodberg verschwindet, organisiert der Lehrer eine Suchaktion. In Kleingruppen durchkämmen die Kinder den Wald. Anschließend berichten sie den Lehrern, was sie beobachtet haben. Viel zu spät wird die Polizei informiert. Sie geht mit allen – mittlerweile sind auch Eltern vor Ort – noch einmal die Aussagen durch. Natürlich decken sich viele mit schon vorher geäußerten Darstellungen. (Diese Wiederholungen machen den Roman stellenweise langatmig. Außerdem werden alle Personen mit Namen benannt, was in der Anhäufung einfach zuviel ist.)
Emily war eine Außenseiterin. "Blöde Tussi" oder "Scheißzicke" wurde sie in der Klasse genannt. Zunächst hatte sie die eine oder andere Freundin, doch dann wandten sich alle wieder von ihr ab. Auf ihrer Festplatte, die Emily mehrfach Passwort-geschützt hatte, entdeckt die Polizei Internetaktivitäten, die Emily in einem ganz neuen Licht erscheinen lassen ...
Dass sich ausgerechnet in dieser Gegend drei der Polizei längst bekannte Pädophile aufhalten, lässt natürlich die Vermutung einer Entführung Emilys aufkommen. Augenzeugen wollen vier litauische Wagen gesehen haben. Die Recherchen gehen in viele Richtungen.
Gut gefallen hat mir speziell an diesem Krimi, dass Arne Dahl sich auf einen Haupthandlungsstrang konzentriert. Die meisten Nebenschauplätze haben im weitesten Sinne einen Zusammenhang mit dem Geschehen. Grausame Morde geschehen – beispielsweise wird jemand mit einer Klaviersaite enthauptet ... – doch warum und von wem werden sie ausgeführt? Eine Geheimloge mit abstrusen und obskuren Gedanken zur Sexualität trifft sich sowohl im Internet auf den Seiten von "Kurtz of Darkness" als auch zu Initiationsritualen. Sie hat sich das Recht zur Selbstjustiz genehmigt.
Der Krimi ist nicht nur in sich schlüssig und gut formuliert, sondern behandelt auch einen sozialkritischen Aspekt – Kinderpornographie im Internet. Das ist fast Tagesthema in den Medien, und dort ist es schockierend genug. Arne Dahl aber beschreibt menschliche Abgründe, die nichts Normales mehr an sich haben. Das ist grausam, aber nicht unbedingt spannend. Der Titel "Dunkelziffer" bezeichnet übrigens das Kennwort für den Einlass in ein Bordell. Kaum zu glauben, aber womöglich lebensnah: Hier trifft sich eine Polizistin mit einem Mann zum harten Sex ...
Trotz allem fehlt mir das gewisse Etwas, der reißerische Knüller. Selbst der Showdown, in dem die Polizei ihren Kollegen befreit, ist nicht gerade die Spitze des Kebnekaise ...
Wahrscheinlich muss man alle Fälle Arne Dahls gelesen haben, um die richtige Affinität zu finden ...