Die Weihnachtsgeschwister
von Alexa Hennig von Lange
Eine sehr zeitgemäße Erzählung zu und über Weihnachten. Beim Familientreffen prallen Generationen und Individuen mit ihren schwer vereinbaren Werten, Lebensweisen, Vorurteilen, Hoffnungen und Wünschen aufeinander. Wie kann das gut gehen?
Erwachsen werden
In ihrem Buch »Die Weihnachtsgeschwister« bereitet Alexa Hennig von Lange die Problematik familienfestlicher Dilemmata auf erfrischende, realitätsnahe Weise auf. Sie siedelt die Handlung zu Weihnachten an, einem alljährlich wiederkehrenden Kristallisationskern von bekannter Brisanz. Runde Geburtstage, Hochzeiten und dergleichen bieten ähnliche Bedingungen und Szenarien, aber kein anderes Fest ist emotional derart aufgeladen und überdies unumgänglich. So ist dies kein »Weihnachtsbuch« im üblichen Sinn – es kommt ohne weihnachtliche Romantik, Satire, Andacht, Nostalgie oder Verhonepiepelung daher, Konsum- und Gesellschaftskritik stehen nicht im Vordergrund, und es eignet sich nicht zum Vorlesen für Kinder. Die Stärke der Geschichte beruht auf dem gutem Gespür der Autorin (1973 in Hannover geboren) für das vielgestaltige Zusammenleben von Partnern und Kindern unter den komplexen Bedingungen der heutigen Zeit, und sie sieht offenbar Hoffnung, es friedlich bewerkstelligen zu können. Sie erzählt ruhig (allenfalls mit leichter Ironie), wie sich schwelende Konflikte entwickeln, und führt die Handlung überzeugend zu einem warmherzigen, originellen Happy-End, was zum Schluss dann doch wohltuende Weihnachtsfreude und Frieden aufkommen lässt.
Die Handlung ihrer Geschichte beginnt am Tag vor Heiligabend und taucht die Leser, wie man es vom Titel her erwarten wird, in ein typisch weihnachtsseliges Setting. Es schneit, und drei erwachsene Geschwister steuern ihre Autos samt Partnern, Kindern, Geschenken, Sack und Pack zu ihrem Elternhaus, wo »Mammchen« und »Papsi« sie gewiss voller Vorfreude erwarten.
Seit sie zu Hause ausgeflogen sind, haben Tamara, Elisabeth und Ingmar unterschiedliche Wege eingeschlagen – räumlich, beruflich, partnerschaftlich, weltanschaulich, wie das Schicksal eben so spielt. Alle drei sind um die vierzig und ausgeprägte, kritische Charaktere. Außer den Erinnerungen an ihre gemeinsame Kindheit, die sie im Rückblick als durchaus einträchtig, behütet und glücklich empfinden, und die Bindung an die Eltern (ein Pflichtgefühl?) teilen sie wenig miteinander. Das Weihnachtsfest im Familienkreis ist eine rare Gelegenheit, wenigstens einmal im Jahr miteinander in Kontakt zu treten, sich vielleicht wieder ein wenig anzunähern, nett zueinander zu sein.
Obwohl die Vorsätze gut und die Hoffnungen auf ein harmonisch gestimmtes Fest ernst sind, zerbröseln sie, kaum hat man das elterliche Haus betreten, an der Realität. Wo drei so unterschiedliche Welten aufeinanderprallen, ist Streit vorprogrammiert. Gleich bei der Begrüßung beginnen die Bauchgefühle aufzuwallen, verdichten sich zu süffisanten Gedanken und wechseln im schlimmsten Fall ihren Aggregatszustand, um als giftige Pfeile hin und her zu fliegen.
Die Älteste ist die Frustrierteste. Sie hat ihre kostbare Lebenszeit, wie sie meint, als Hausfrau und Mutter vertan. Verhasste Routinen (wie für ihre beiden Jungs ungeliebte Butterbrote zu schmieren) haben ihr keinen Raum für sich selbst gelassen. Als sie einst beim Karate ihren Mann kennenlernte, war er attraktiv und sie sein Alles; jetzt vernachlässigt er sein Äußeres und ist mit seinem Job verheiratet. Sie und die handysüchtigen Söhne belegen seine Aufmerksamkeit nur nachrangig, so dass die Erziehungsprobleme zwangsläufig an Tamara hängen bleiben.
Wie beneidenswert ist dagegen Elisabeth, die Zweitgeborene, dran! Gut, sie hat zwei Scheidungen hinter sich und zu jedem ihrer beiden Kinder einen anderen Vater. Dass ihre »wankelmütige Schwester« so erfolgreich in ihrem Beruf als Übersetzerin sein kann, ist Tamara ein Rätsel. »Pures Glück«, das vergeht, wie alles andere auch, zum Beispiel dieser interessante wildfremde Typ (»Mister Holzfäller«), den sie mitgebracht hat. Wie konnte sie den bloß an Land ziehen, wo er doch viel besser zu einer willensstarken, gebildeten Frau wie Tamara passen würde … Immerhin, Elisabeth trägt stets ein Lächeln im Gesicht, spricht nett mit allen Anwesenden und weiß freundlich zu vermitteln.
Der Dritte und Jüngste im Geschwisterkreis lässt mit seinen Angehörigen den Eindruck, sie seien gerne angereist, gar nicht erst aufkommen. Schon Ingmars Äußeres – »Weltverbessererzopf« samt »Bio-Wollschal« – bezeugt provokant eine konsequent auf Gesundheit, Ökologie und Nachhaltigkeit ausgerichtete und somit überlegene Weltanschauung. Seine Ehefrau Siri zeichnet sich vor allem durch Humorlosigkeit aus, und ihr Nachwuchs (Zwillinge) wirkt merkwürdig verweichlicht.
In diesem verminten Beziehungsfeld, wie man es im Prinzip in vielen Familien finden wird, entwickelt Alexa Hennig von Lange eine leicht überspitzte, unterhaltsame Geschichte ohne pädagogischen Zeigefinger, in der sich jahrelang gehätschelte Vorurteile und aufgestauter Frust Bahn brechen. Die Charaktere, ihre Egos, ihre Werte und die unterschiedliche Art der Lebensgestaltung prallen schmerzlich aufeinander.
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Das Hotel, wo man nach der Anreise die Nacht verbringt, ist ein Ort, wohin man sich zurückziehen, sich abregen und Kraft tanken kann, wenn es am Tag darauf an die Vorbereitung des Heiligen Abends im elterlichen Heim geht. Doch eigenartigerweise sind die Eltern dort nicht aufzufinden. Diese Tatsache ist der Auslöser für die weitere unaufgeregte Handlung. Die Geschwister rätseln über den Verbleib der beiden, suchen sie, ohne jedoch eine Spur zu entdecken, geraten aber keineswegs in Panik. In der Annahme, dass sich schon alles zum Guten wenden werde, bereiten sie in Ruhe gemeinsam die Feier vor und gehen dabei ihren Erinnerungen nach.
In der Tat kommt es zu dem erwarteten Happy End. »Mammchen« und »Papsi«, die ihre Kinder in Liebe großgezogen hatten, wissen um all ihre Schwierigkeiten mit sich selbst und untereinander. Mit dem Erwachsenwerden sind Respekt und Toleranz auf der Strecke geblieben. Jetzt verhelfen die Großeltern den Streithähnen dazu, sich auf ihre Wurzeln zu besinnen und wieder zueinander zu finden. Der versöhnliche Schluss stimmt nachdenklich und passt ganz wunderbar zu Weihnachten, wie auch immer man es zuzubringen gedenkt.