Klassische Krimikost (und mehr) zum Fest
Agatha Christie (1890-1976) gehört zu den ganz Großen in der Kunst des Kriminalromans. Ihre legendären Protagonisten, der belgische Gentleman Hercule Poirot und die altjüngferliche Hobby-Detektivin Miss Marple, haben jeweils Dutzende von Verbrechen aufgeklärt. Sie tun das durch scharfes Nachdenken, clevere Befragungen und listiges Fallenstellen, und oft kommt es am Ende des Romans (bzw. der zahllosen Verfilmungen) zu einer Art Showdown, in dessen Verlauf sie vor der versammelten Gruppe von Verdächtigen, Geschädigten, Opfern, Ordnungshütern und anderen Interessierten den Tathergang pfiffig und penibel rekonstruieren und den Täter überführen, nicht ohne zuvor etlichen unschuldigen Anwesenden gehörige Schrecken einzujagen.
Nach ihrem Tod flaute der Jahrzehnte währende Hype um die »Queen of Crime« (1971 von Queen Elizabeth zur »Dame of the British Empire« geadelt) ab, da modernere, komplexere Arten von Ermittlern, Verbrechen und des Erzählens aufkamen. Wenn man heute Agatha-Christie-Texte liest, wird man sich an der gepflegten Sprache, dem feinen Humor, der längst vergangenen britischen Lebensart und dem vergleichsweise unkomplizierten Weltbild erfreuen. Genau das Richtige also für sorgloses Schmökern an langen Winterabenden. Passend zum Weihnachtsfest 2016 hat der Atlantik-Verlag eine kleine Sammlung weihnachtlicher Geschichten der Autorin herausgebracht, die mehr als Krimis bieten. Übersetzt wurden sie von Renate Orth-Guttmann, Michael Mundhenk und Lia Franken, die Zusammenstellung besorgte Daniel Kampa.
Den Erzählungen vorangestellt ist ein nostalgisches Grußwort der Autorin. Darin erinnert sie sich, wie sie als Kind im Kreis ihrer Familie in Nordengland Weihnachten zu feiern pflegte. Am Weihnachtsabend wurde ordentlich aufgetischt: Austernsuppe, Steinbutt, Truthahn, Rinderlende. Zum Nachtisch wurde neben anderen süßen Köstlichkeiten auch ein Plumpudding serviert. Er wurde viele Jahre später zum Objekt der ersten Geschichte, »Das Geheimnis des Plumpuddings«.
Bücher und Musik-CDs für die Advents-
und Weihnachtszeit finden Sie hier.
Es geht darin um eine äußerst delikate Affäre. Ein indischer Thronanwärter ist nach London gereist, um hier ein immens kostbares Armband mit einem Rubin umgestalten zu lassen. Es soll das strahlende Geschenk für seine Cousine werden, die er bald heiraten wird. Doch ehe das gute Stück in Arbeit geht, lässt sich der junge Prinz auf ein folgenreiches Abenteuer mit einer entzückenden jungen Dame ein. Nun gehört in solchen Kreisen ein zünftiger Junggesellenabschied durchaus zum erwarteten Programm – nicht aber Unbedarftheit. Von den Torheiten, zu denen sich der orientalische Prinz hat hinreißen lassen, soll niemand erfahren. Um die »äußerst delikate Angelegenheit« wieder gerade zu biegen, wendet man sich an den Richtigen: Man lädt Monsieur Hercule Poirot zu einem Upper-Class-Weihnachtsfest auf dem Lande ein (»tout confort moderne«) und kann sicher sein, dass er das Problem effizient, diskret und stilsicher zu lösen weiß. Seine große Stunde schlägt, wenn nach dem festlichen Mahl zum Dessert ein Plumpudding gereicht wird, der es in sich hat ...
In trautem Gesprächskreis vor dem Kamin – drei feine Damen und Herren – gibt Miss Marple eine ihrer allseits geschätzten Geschichten zum Besten. Obwohl die unverheiratete alte Lady leicht verschroben wirkt, weiß sie sich nicht nur in dieser Runde geistreich und spitzzüngig in Szene zu setzen, insbesondere gegen die stets auf die Durchsetzung ihrer Interessen bedachten Männer. Auch in dem Fall, von dem sie dann berichtet, durchschaute sie das hinterhältige Vorhaben des betreffenden Herrn. Er plante, seine Gemahlin durch einen scheinbar unvermeidlichen tragischen Unfall zu beseitigen. Leider gelang es Miss Marple nicht, die gutgläubige Ehefrau vor dem Schlimmsten zu bewahren, und eine »Weihnachtstragödie« nahm ihren Lauf. Doch immerhin wurde am Ende Gerechtigkeit geschaffen ...
Ohne die üblichen Ermittler kommt die rasante Geschichte »Der Traum vom Glück« aus. Vielmehr geht es um die charakterliche Reifung eines jungen Mannes, der kurz vor seiner Eheschließung viel Geld in einem Preisausschreiben gewinnt. Seine Verlobte schlägt vor, die Summe als Polster für die gemeinsame Zukunft beiseite zu legen. Doch er sieht die einmalige Chance, endlich einmal seinen eigenen Traum wahr werden zu lassen. Ein funkelnder roter Sportflitzer lockt ihn in ein vornehmes Autohaus. Nach furiosen Abenteuern mit der Göttin auf vier Rädern kehrt er, zum selbstbewussten Mann gewandelt, am Weihnachtstag zu seiner frostig-kühlen Braut zurück ...
Weihnachtlich anrührend ist die kleine Erzählung von einem derart störrischen Eselchen, dass es von einem zum anderen Besitzer weiterverkauft wird. Schließlich läuft es einem besonders grausamen Schinder davon und gerät zufällig in einen merkwürdigen Stall. Warum so viele Menschen dorthin laufen, sich sogar richtige VIPs dort einfinden, kann der Esel nicht verstehen, wo doch einfach nur ein Kind geboren wurde. Als ihn das Neugeborene ans Ohr fasst, vollzieht sich allerdings ein Wunder mit großer Tragweite ...
Den hübschen Reigen so unterschiedlicher Texte einer vielseitigen Schriftstellerin beschließt »Ein Gruß«, ein Gedicht zur Weihnacht.