Der Amerikaner aus Zimmer 301
»Benny ist draufgegangen für diesen Mist.« Warum musste es ausgerechnet das KaDeWe sein? Das war eine Nummer zu groß für die Kaufhausdiebe Alexandra und Benny. Auf Kallis Wunsch haben sie Schmuck und Uhren mitgehen lassen. Und die »Polente« hat Benny erwischt. Er hing an einer Fassadenwand, und der Bulle hat ihn einfach heruntergetreten.
Voller Wut betritt Alex Kallis kleinen Krämerladen mit all dem alten Plunder, den niemand kauft. Das eigentliche Geschäft macht Kalli mit der Hehlerware, die ihm seine Kumpane anliefern.
»Berlin ist nicht gerade erfreut über Ihren Besuch.« Kommissar Rath sucht Abraham Goldstein aus Brooklyn im noblen Hotel Excelsior auf. Er sei als Tourist in Berlin, versichert Goldstein dem Kommissar, der ihm vorsorglich Fingerabdrücke abnimmt. Zu Hause in New York wird gegen ihn ermittelt: Fünf Morde werden ihm angelastet. Die Berliner Polizei wird ihn ständig überwachen. Goldstein wettet, dass er seinen »Babysittern« entkommen wird. Was für ein »großkotziger Amerikaner«, denkt sich Rath: Er soll ihn »Gould-ßtiehn« nennen ...
»Das war Mord. Ich habe Zeugen. Ich kenne Reporter, die würden für so eine Geschichte eine Menge Geld bezahlen: Polizist mordet Minderjährigen!« Dieses Telefonat mit Stephan, einem Polizisten, hätte Kalli nicht führen dürfen. Die Bullen kommen in seinen Laden und schlagen ihn halb tot. Den Namen des Zeugen wollen sie aus ihm herausprügeln.
Ich bin hellauf begeistert von dieser Leseprobe. Sie ist nicht nur knisternd spannend geschrieben – sie bringt auch das Zeitkolorit Berlins im Jahre 1931 spürbar nah. Die Dialogteile wechseln ohne vermittelnde Verben – das macht Tempo, bringt Aktion. Wie schön ist dabei der Berliner Dialekt. Längst aus unserem Sprachgebrauch verschwundene Wörter wie »Hungerhaken«, »Registrierkasse«, »Schupo«, »Zinnober« und Gegenstände (z.B. die Zigarettenmarke »Overstolz«) erleben eine Renaissance und schaffen Atmosphäre.
Besonders aufregend finde ich das Geschehen im Kleinkriminellenmileu. Die Bullen sind bestechlich, sie decken manch lukrative Schieberei. Wie wird Alex reagieren, wenn sie herausfindet, dass Kalli sie gegen ein paar »Kröten« an die Polizei verraten hat? Der KaDeWe-Einbruch war nämlich ein abgekartetes Spiel ...
Was erwartet den Leser im weiteren Verlauf der Handlung? Wird Kommissar Rath sein Räuber-und-Gendarm-Spiel gewinnen? Und: Goldstein ist Jude. Zwar sind es noch zwei Jahre bis zu Hitlers Machtergreifung, aber antisemitische Strömungen gibt es schon zuhauf. Wird Kutscher dieses Thema aufgreifen und seinem Roman auch eine politische Note geben?
Meine Neugierde auf diesen vielversprechenden Roman Volker Kutschers brennt, denn ich möchte nicht nur wissen, wie die Handlung weitergeht, sondern verspreche mir auch anschauliche, lebhafte Einblicke in eine Zeit, die politisch und gesellschaftlich nicht minder aufregend war als unsere.