Der Kuss des Engels

Kolumbien: In einem klapprigen Jeep holt Jack, der Tropenarzt, seinen Kollegen Rafael vom Flughafen ab. In Kisten nehmen sie Medikamente und medizinische Geräte mit. Auf ihrem Weg zur Krankenstation werden sie von bewaffneten Männern in Armeekleidung gestoppt: Sie wollen die Medikamente. Bei dem Schusswechsel stirbt Rafael. Während er zu Boden sinkt, hat er Sophies trauriges Abschiedslächeln vor Augen.
Paris: Sophie sitzt im Café. In ihrer Trauer sieht sie die Liebe ihres Lebens, Rafael, auf dem gewohnten Stuhl an ihrem Tisch. Sie wollten heiraten. Aber nun ist sie einsamer denn je. Selbstmordgedanken treiben sie an das Ufer der Seine. Sie klettert über das Geländer, kann sich aber dann noch festhalten, als ein Schiff unter ihr vorüber fährt. "Rafe!" ruft es in ihr, als sie im flackernden Lichtschein sein Gesicht erkennt.
"Ich habe meinen Verlobten gesehen", erzählt sie ihrer Vermieterin Madame Guimard, als sie nach Mitternacht nach Hause kommt. Diese ist besorgt und voller Mitleid: "Wenn wir geliebte Menschen verlieren, glaubt unser Herz ständig, sie in fremden Gesichtern wiederzuerkennen." Das versetzt Sophie einen Stich, denn sie konnte sein Gesicht genau erkennen ...
Dieser Roman fängt spannend an: Der Einsatz der Ärzte, die im kolumbianischen Dschungel bedroht und getötet werden, ist fesselnd beschrieben. Nur ist die Episode sehr kurz. Da der Handlungsfaden aber hochinteressant und voller Zündstoff ist, wird die Autorin ihn sicher wieder aufnehmen.
Sophies depressive Stimmung ist einfühlsam, gefühlvoll, aber nie kitschig beschrieben. Das Lokalkolorit (Regen, nasse, dunkle Strassen, drückende Häuserwände, finstere Baumwesen u.a.) passt zur wunden, schutzlosen Seele Sophies. Selbst unter ihrer Kapuze kann sie sich nicht verkriechen. Regen und Tränen vermischen sich, verschmierte Maskara läuft über ihr Gesicht.
Ich schwimme nicht auf der Welle der Fantasy-Romane, die uns überflutet. Aber mancher Tropfen kann ja eine Labsal sein, und vielleicht gehört dieser Roman zu den erquickenden.
Mir hat die Leseprobe gefallen.