Schutzbedürftige in schützenden Händen?
Sie steht hundert Meter über dem Abgrund. Unter ihr rauscht ein Fluss. Sie hält sich an den Absperrdrähten fest. Dann springt sie – drei Sekunden sind eine Ewigkeit bis zum Tod.
Doch sie taucht wieder auf, ist ihren Luftblasen gefolgt. Das hatte sie alles so geplant: keinen Selbstmord, sondern den Beginn ihres zweiten Lebens.
Mick, Nina und Tochter Josie sind eine intakte Familie. Alles läuft bestens. Nina hat gerade eine Jobzusage als Maskenbildnerin bei einem Filmproduzenten erhalten. Mick ist freischaffender erfolgreicher Maler. Er entführt Nina, seine Frau, in sein Atelier, um ihr seine Überraschung zu präsentieren: einen lebensgroßen Akt von ihr. Für ihre Tochter sind sie hingebungsvolle Eltern.
Zu Schuljahrsbeginn tritt Frankie Gerrard ihren neuen Job am Roecliffe-Internat an. Nachdem sie ihr Zimmer bezogen hat, stellt der Schulleiter sie dem Kollegium vor. Frankie hat Beklemmungen, als sie sieht, wie die Schülerinnen in noblen Autos von ihren Eltern heranchauffiert werden. Nie hätte sie geglaubt, dass sie jemals an den Ort, der dunkel in ihrer Vergangenheit ruht, zurückkehren würde ...
William ist seit dem Tod seiner Frau zum verwahrlosten Alkoholiker geworden. Manchmal sorgt die Gemeindeschwester für Ordnung. Wie im Gefängnis fühlt sich die kleine Tochter Ava, wenn Dad nach einem Saufgelage vor der Haustür niedergestreckt liegt; er ist zu schwer, und so kann sie die Tür nicht öffnen ... Als Ava zehn Jahre alt ist, bringt ihr Vater sie im Heim Roecliffe unter und verspricht ihr, sie sonntags zu besuchen. Ava hat hier furchtbare Angst. Nachts erzählen die Mädchen Gruselgeschichten. Ist etwas Wahres daran? Ein alter Mann holt sie ab, bringt sie zu einem anderen. Doch der will sie nicht; sie habe doch einen Vater. Der aber hat sie schon seit Wochen nicht mehr abgeholt ...
Man ahnt schon, was Ava durchstehen wird. Sie erzählt aus der Ich-Perspektive, genau wie Frankie. Vielleicht sind sie ein und dieselbe Person; vielleicht ist Frankie die Selbstmörderin, die ein neues Leben beginnen will. Warum begibt sie sich an den Ort grausamer Erinnerungen – das alte Herrenhaus hätte sie doch kennen müssen? Wie fügen sich Mick, Nina und Josie in die Handlung? So viele offene Fragen ...
Zunächst scheint dieser psychologische Krimi breit angelegt. Aber sicher wird Sam Hayes die Handlungsfäden engmaschiger stricken und uns das Grauen lehren.