Lieb und Leid im Silicon Valley des Spätmittelalters
Straßburg 1510 am Tag vor Sankt Martin: Die streng religiöse Margarethe ist sicher, dass Gottes Hand sie gerettet hat. Es brannte in der Buchdruckerei ihres Vaters Johann Prüß. Margarethe tat alles, um die kostbaren Bücher zu retten. Ein Dachbalken begrub sie unter sich, ihr Kleid ging in Flammen auf, aber ein paar kräftige Arme zogen sie aus der Feuersbrunst.
Die Druckerei Prüß ist eines der innovativen High-Tech-Unternehmen, die sich damals in Europa mit Windeseile ausbreiteten. 1458 war in Straßburg die erste Druckerei eröffnet worden, die mit Hilfe der sensationellen Technik, die Gutenberg in Mainz entwickelt hatte, weiten Bevölkerungskreisen bisher unbekannte Informationen zukommen lassen konnte – vor allem erst einmal die Bibel.
Die Druckerei ist anerkannt für ihre gute Arbeit. Margarethe ist stolz, dass sie die Bücher vor dem Druck als Lektorin prüfen darf. Ihr Bruder Hans ist das schwarze Schaf der Familie. Die Lehre hat er abgebrochen – welche Schande für den Vater! Margarethes Mutter ist gestorben. Doch in jeden Meisterhaushalt gehört eine Frau. Als Vater Johann Margarethe anvertraut, dass er für sich, aber auch für sie selber einen konvenienten Partner sucht, ist sie geschockt. Eine fremde Frau im Haus! Und sie selber spürt ihr Herz klopfen beim Anblick des Gesellen Reinhard ...
Die Autorin Sabine Weiß hat das Alltagsleben in Straßburg farbenfroh wiedergegeben. Man läuft durch die belebten Gassen, rechts und links blickt man in die offenen Verkaufsbuden. Davor befinden sich Feuerpfannen, verbotenerweise aufgestellt gegen die Novemberkälte. Es dampft und kokelt, der Geruch hängt in der Kleidung. Natürlich nutzt jeder die Abkürzung durchs Strassburger Münster – selbst um das Vieh hindurchzutreiben ... Wie mag es hier gestunken und ausgesehen haben, an einem Ort, der für uns heute ein ehrwürdiges Kulturerbe ist?
Die Religion bestimmt das Leben der Menschen. Das Geld für einen Sündenablass oder gar eine Wallfahrt wird gerne investiert. Aber die Beichte ist für viele eine Qual. Gottlob gibt es neuerdings als Hilfestellung und Anregung das gedruckte Beichtbüchlein, in dem man nach seinen eigenen Sünden forschen kann: Es listet Haupt-, stumme, rufende und fremde Sünden auf ... Was mögen das für Missetaten sein?
Katholisch erzogene Leser mögen mit diesem Problem noch 400 Jahre später konfrontiert gewesen sein: Als Acht- oder Neunjährige/r im dunklen, engen Beichtstuhl kniend musste man ja irgend etwas aus seinem unschuldigen Kinderalltag bereuen. Und wenn da nichts war, half nur die Phantasie ...
Dies ist ein gut gemachter historischer Roman. Die Liebesgeschichten und Schicksalsschläge in spätmittelalterlichem Ambiente bieten spannende Unterhaltung und vermitteln Fakten und Lebensgefühl einer Epoche des Umbruchs, die das Mittelalter beendet und unsere Neuzeit eingeleitet hat.