Nah am Pulsschlag
Es wirkt wie ein Schock: Schon im zweiten Satz der Leseprobe erfährt der Leser von einem Autounfall mit tödlichem Ausgang. June, Ehemann Jack und Tochter Elizabeth (zwei Jahre alt) sitzen im Auto. Sturzbetrunken hat ein anderer Autofahrer sie von der Straße abgedrängt. Jack überlebt den Unfall nicht. Der Polizeibeamte, Kurt Nealon, rettet June und ihre kleine Tochter, begleitet sie zum Krankenhaus und pflegt weiterhin Kontakt mit den beiden. June und Kurt empfinden Zuneigung füreinander, und sie heiraten. Fünf Jahre später wird Claire geboren. Die kleine Familie erfährt ein wenig Glück.
Jetzt muss das Haus umgebaut werden. Eines Tages stellt sich ein junger Mann, Shay Bourne, vor, um die schon begonnenen Arbeiten zu beenden. (Mit welcher Leichtgläubigkeit dieser Fremde ausgerechnet in einem Polizeihaushalt sofortigen Zugang findet, kann ich nicht so ganz nachvollziehen; das finde ich nicht überzeugend dargestellt.)
Und schlimmer kann es kaum noch kommen: Shay Bourne zerstört durch seinen kaltblütigen Doppelmord das kleine "Pflänzchen Glück". Er tötet Elizabeth und den Stiefvater. Wie wird June mit den erlittenen Schicksalsschlägen fertig?
Shay Bourne wird sofort verhaftet.
In einem ersten Teil wird der eigentliche Prozess geschildert, und zwar aus der Sicht von einem der zwölf Geschworenen, des jungen Studenten Michael. Im zweiten Teil soll das Strafmaß festgelegt werden. Der Staatsanwalt hat die Höchststrafe - das Todesurteil - gefordert. Sehr ausführlich schildert Michael die Arbeit der Geschworenen. Nach Abwägen aller Argumente kommen sie zu einem gemeinsamen Urteil ...
Somit ist der Prozess gegen einen Jugendlichen, der einen brutalen Doppelmord begangen hat, das zentrale Thema der Leseprobe. Die Tat kann ihm eindeutig nachgewiesen werden; er hat eine gestörte Kindheit und eine psychische Erkrankung ... Trotzdem wird die Todesstrafe beantragt.
Wie viele Bücher und Filme haben genau dieses Sujet? Auch die dann beschriebene verantwortungsvolle Tätigkeit der Geschworenen ist zumindest mir seit Langem bekannt. Insofern hat mich die Leseprobe nicht gerade angezogen. Aber meine Kenntnis mehrerer anderer Romane von Jodi Picoult bestärkt meine Überzeugung, dass sie ihr schriftstellerisches Talent überzeugend nutzen wird, um im weiteren Handlungsverlauf den Leser mit völlig Unerwartetem, Ungewöhnlichem zu überraschen, das ihm den Atem rauben wird.